Corona hat den stationären Einzelhandel schwer getroffen. Erst musste er der schier übermächtigen Online-Konkurrenz für mehrere Wochen komplett das Feld überlassen, dann durfte er seine Ladengeschäfte nur unter Auflagen wieder öffnen. Wenig überraschend strömten die Verbraucher aber nicht gleich wieder zurück in die Fußgängerzonen und Shoppingcenter, als sei nichts gewesen – viele haben aktuell die Lust am Einkaufsbummel verloren, weil sie sich um ihre Gesundheit sorgen oder Maskenpflicht und Abstandsregeln ihnen das gemeinschaftliche Shoppen mit Freunden verleiden.
Nutznießer ist der Online-Handel, der sich in den vergangenen Monaten als zuverlässige Einkaufsalternative in Krisenzeiten etabliert hat, auch für Waren des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Drogerieprodukte, Medikamente und Tierbedarf.
Digitalisierung ist mehr als ein Webshop
Das Problem vieler Händler: Sie haben keinen Plan B, der über einen schnell aufgesetzten Online-Shop hinausgeht. Dabei gibt es durchaus Wege, durch eine Digitalisierung des Ladengeschäfts das Einkaufserlebnis zu verbessern sowie Abstands- und Hygieneregeln leichter umzusetzen – und damit das Vertrauen von Verbrauchern wieder zurückzugewinnen. Die Verbraucher von heute wollen schnelle, gut überlegte Kaufentscheidungen in physischen Geschäften ebenso wie im Internet treffen.
Die Möglichkeit, einkaufen zu können, wann ich will, wie ich will und wo ich will, hängt letztlich von digitalen Lösungen ab, die für den modernen Verbraucher geeignet sind. Das Tolle ist doch, dass sie die dafür notwendige Technik in Form ihres Smartphones bereits mit sich herumtragen. Der Händler muss ihnen „nur“ eine App oder eine mobile Website für den Abruf von Produkt- und Preisinformationen oder den Self-Checkout anbieten. Erprobte Lösungen dafür gibt es ebenso wie fähige Software-Spezialisten, die die Anpassung für sein Geschäft übernehmen.
Der Kundenkontakt wird durch Scan-and-Go oder Self-Checkout reduziert: Kunden scannen ihre Einkäufe beim Einpacken selbst mit dem Smartphone oder gesammelt an Selbstbedienungskassen, gezahlt wird dann idealerweise ebenfalls kontaktlos, und den Kassenbon gibt es digital per App oder E-Mail. In einem nächsten Schritt beim Self-Scanning wird Augmented Reality (AR) hinzugefügt, um zusätzliche Produktinformationen wie in einem Online-Shop abzurufen. Kunden führen ihr Smartphone einfach über Barcodes, die an einem Regal angebracht sind, um Inhaltsstoffe, Bewertungen oder Rezensionen zu erhalten. Metro in Deutschland zum Beispiel nutzt das AR-Overlay, um Großhandelskunden personalisierte Preise bereitzustellen.
Früher mussten sie sich dafür mit einem Mitarbeiter in Verbindung setzen. Diese Kombination aus physisch und digital ist für Einzelhändler heutzutage leicht umzusetzen – ohne großen Zeit- und Kostenaufwand. Damit verändern sie die End-to-End-Prozesse und das Kundenerlebnis. Ein schneller Scan mit der richtigen Smartphone-Software ruft Informationen aus beliebigen Quellen ab.
Mit solchen Maßnahmen schützen Händler auch ihre Mitarbeiter vor Infektionen. Doch sie können noch mehr tun: Per App verwandeln Händler die Smartphones ihrer Mitarbeiter in leistungsstarke Barcode-Scanner und können bisherige dedizierte Scanner ablösen, die sich das Personal teilt und die deshalb regelmäßig desinfiziert werden müssen. Die Drogeriekette dm hat das beispielsweise für mehr als 34.000 Mitarbeiter in über 3.600 europäischen Filialen umgesetzt. Mit dem Smartphone rufen Mitarbeiter Produkt- und Preisinformationen sowie Lager-bestände deutlich komfortabler ab, weil die Daten in Echtzeit auf dem Display angezeigt werden und sie mehrere Barcodes in einem Rutsch scannen können.
Verknüpfung von Offline und Online
Handelsübliche Smartphones sind das Tool, das diese Kombination aus physischer und digitaler Welt für wettbewerbsfähige Einzelhändler bereitstellen kann. Weitere Digitalisierungsschritte könnten ein Kunden-WLAN und Omni-Channel-Konzepte sein, die stationäres und Online-Geschäft verknüpfen: Kunden bestellen beispielsweise Produkte im Webshop und holen sie vor Ort ab – das spart Versand- und Verpackungskosten. Mit Hilfe einer App basierend auf Computer Vision und AR finden Mitarbeiter im Geschäft die bestellte Ware in wenigen Sekunden und können sich die Übergabe vom Kunden zudem kontaktlos bestätigen lassen. Kunden können Produkte auch von zu Hause reservieren und dann im Laden vor dem Kauf zunächst begutachten. Oder sie lassen sich im Laden zu verschiedenen Produkten beraten und an-schließend ihren Favoriten nach Hause liefern – das ist praktisch für unhandliche Geräte, die ohne Auto schwer transportiert werden können.
Mit solchen Omni-Channel-Konzepten locken Händler wieder Kunden in ihre Läden und können durch Cross-Selling ein höheres Verkaufspotenzial erschließen. Einzelhändler mit Filialen an erstklassigen Einzel-handelsstandorten können diese Geschäfte neu definieren und gestalten, beispielsweise als eine Kombination aus Showroom, Abholort und de-zentralem Fulfillment-Center. Dass das Konzept Ladengeschäft nicht tot ist, beweisen Online-Händler wie Amazon, Cyberport, Home24, Mister Spex, Mymuesli, myToys, notebooksbilliger.de, Shoepassion und Zalando, die in den vergangenen Jahren zahlreiche stationäre Shops er-öffnet haben.
Das Institut für Handelsforschung schätzte im März, dass bis 2030 rund 64.000 Einzelhändler beziehungsweise 80.000 Verkaufsstellen in Deutschland verschwinden werden – das war noch vor Corona. Die Aussichten sind jetzt, ein halbes Jahr später, deutlich düsterer. Der Handelsverband Deutschland sieht durch die aktuelle Krise bis zu 50.000 Standorte bedroht. Wer als stationärer Einzelhändler überleben will, braucht eine Digitalisierungsstrategie.