Expertentalk: Grenzenloser Onlinehandel: So gelingt der Vertrieb im Ausland

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Das World Wide Web öffnete dem Handel die Grenzen und erschloss Märkte über den regionalen (oder nationalen) Standort hinaus.

Zumindest in der Theorie; denn praktisch klafft in Sachen ‘grenzübergreifender Onlinehandel’, zumindest in Deutschland, eine nicht zu verachtende Lücke zwischen Anspruch und Realität. Deutlich machen dies zwei Zahlen:

  • Über zwei Drittel aller Onlinehändler in Deutschland verkaufen aktiv ins Ausland (Statista).
  • Doch oft bleibt es nur beim Versuch: Schlussendlich erwirtschaftet der deutsche Onlinehandel lediglich ein Viertel des Umsatzes außerhalb der eigenen Grenzen (Cross Border Commerce Europe).

Zeit, dies zu ändern! Allein die makroökonomischen Zwänge im Heimatland geben den Onlinehändlern genügend Gründe: 76 Prozent der Deutschen werden gerade bei Online-Einkäufen den Rotstift ansetzen insofern die wirtschaftliche Lage angespannt bleibt; und danach sieht es derzeit aus. Neue Zielgruppen zu erschließen wäre ein wichtiges Hilfsmittel, um den bevorstehenden Abschwung abzufedern und das Sales-Volumen hoch zu halten. 

Gleichzeitig liegt im Geschäft mit unseren Nachbarn enormes Potential brach: Es wird erwartet, dass sich der Gesamtumsatz im Onlinehandel im Ausland bis 2025 auf 1,16 Billionen Euro verdoppeln wird (Statista). Onlinehändler sollten sich dementsprechend jetzt ihren Teil vom Kuchen sichern. 

Für alle Interessierten gibt es nun jedoch gute und schlechte Expansionsnachrichten. Die schlechte zuerst: Einfach die deutsche (Erfolgs-)Formel auf das europäische Ausland zu übertragen wird in einem Großteil der Fälle in Enttäuschung enden. Die gute Nachricht lautet allerdings: Neben der Sprache als offensichtlichem Faktor gibt es für unsere europäischen Nachbarn wenige kaufentscheidende und loyalitätsfördernde Faktoren, die ein guter Onlineshop nicht lösen kann. 

Jene Faktoren hat sich der Finanzdienstleister Mollie in seiner Europäischen E-Commerce-Studie genauer angeschaut. Dafür befragte das Unternehmen 3.000 Konsumentinnen und Konsumenten aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Großbritannien.

„Kann ich bei Ihnen auch mit Apple Pay bezahlen?”

Und gleich vorab: Die angebotenen Bezahlmittel gehören für die potenziellen  Kunden zu den entscheidenden Faktoren für oder gegen einen Onlineshop. Im europäischen Durchschnitt ist es 86 Prozent der europäischen Käuferinnen und Käufern wichtig oder sehr wichtig, dass das Bezahlmittel ihrer Wahl im Checkout-Prozess verfügbar ist. Dies geht so weit, dass sie den Händler gar nicht erst in Betracht ziehen, wenn ihr Lieblings-Zahlmittel fehlt – oder später den Kauf abbrechen, wenn dies erst im Checkout-Prozess auffällt.

Generell fahren Onlinehändler stets gut damit, PayPal als Zahlart in ihrem Shop anzubieten. Kaufen unsere europäischen Nachbarn bei Onlinehändlern außerhalb ihres Heimatlandes ein, ist der Bezahlriese aus den USA stets auf Platz eins oder zwei der favorisierten Optionen.

Ansonsten gilt:

  • Für Niederländer ist iDEAL die beliebteste Zahlart. Mit einer Beliebtheit von 68 Prozent rangiert es vor PayPal auf Platz eins. An dritter Stelle landet die Kredit- und/oder Bankkarte (40 Prozent). Klarna und ApplePay komplettieren die Top Five.
  • 74 Prozent der Belgier bevorzugen bei nicht-belgischen Onlinehändlern den Einkauf via Bancontact, 55 Prozent der Kunden die Bank- oder Kreditkarte. Der SEPA-Transfer kommt immerhin auf 21 Prozent. Apple Pay, Klarna und SOFORT spielen eine eher untergeordnete Rolle.
  • Kaufen Britinnen und Briten nicht im Heimatland ein, gibt es nur drei Möglichkeiten. Die Kredit- oder Bankkarte, PayPal und ApplePay; in dieser Reihenfolge.
  • In Österreich erfreut sich nach PayPal die Bank- oder Kreditkarte der größten Beliebtheit (56 Prozent). Auch der SEPA-Transfer (43 Prozent), Sofort (24 Prozent) und Apple Pay (13 Prozent) werden gerne genutzt. Der größte Unterschied zu den anderen Märkten: der Rechnungskauf rangiert mit 36 Prozent auf Platz drei der beliebtesten Bezahlmittel.
  • 63 Prozent der Französinnen und Franzosen legen großen Wert auf die Bezahlung per „Cartes Bancaires”, also der französischen Bankkarte. Die Kreditkarte kommt immerhin auf 50 Prozent. SEPA und Apple Play spielen mit 25 und zwölf Prozent gewichtige Nebenrollen.

Doch neben den Bezahlmitteln hat jedes Land weitere Eigenheiten, die es zu beachten gilt.

Die Niederlande: Kampf der Großen

Kein europäisches Land hat eine höhere Anzahl an Onlineshops pro Kopf. Wer hier in den Markt eintritt, darf sich auf einen Konkurrenzkampf mit harten Bandagen gefasst machen. Insgesamt machten in den Niederlanden 80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich, dass der Preis der entscheidende Faktor für ihre Loyalität ist: stimmt der Preis, kaufen sie auch ein zweites Mal ein. Onlinehändler sollten bei Markteintritt also unbedingt einen Blick auf die hier marktüblichen Höchst- und Tiefpreise werfen.

Außerdem geben weit über zwei Drittel (71 Prozent) der Befragten an, dass ihnen guter Service sehr wichtig ist. Das inkludiert die Customer Experience, den Versand und den Support, beziehungsweise den Umgang mit Retouren.

Ein kleiner (dritter) Tipp: Niederländer kaufen gerade elektronische Produkte und Kleidung online. Medizinische Produkte und Lebensmittel hingegen sind Sachen der stationären Händler.

Doppelt lokalisieren: Bilinguales Belgien

Menschen shoppen naturgemäß am liebsten in ihrer Landessprache. Besonders ausgeprägt ist dieses Bedürfnis jedoch in Belgien, wo ein angenehmes Shopping-Erlebnis eng mit der Sprache der Webseite verbunden ist. Das bedeutet: Die niederländische und französische Sprachauswahl ist für Onlinehändler Pflicht. Positiv bedeutet dies jedoch auch, dass Onlinehändler ihren Shop gleich für zwei weitere angrenzende Märkte mitlokalisieren.

Insgesamt ist Belgierinnen und Belgiern neben der Sprachauswahl der Versand von zentraler Bedeutung. 73 Prozent der Verbraucher verlangen einen kostenlosen Versand, um sich für einen Shop zu entscheiden. Knapp zwei Drittel (63 Prozent) präferieren obendrein kostenlose Rücksendungen. Beide Faktoren sind jedoch nicht nur kaufentscheidende Faktoren; ein guter Umgang mit Versand und Retouren steigert auch ihre Kundenloyalität.

Großbritannien: Digital Natives

​​Das Vereinigte Königreich ist vielleicht der fortschrittlichste E-Commerce-Markt in Europa. Nur eine Minderheit kauft hierzulande nicht digital ein. Diese digitale Fortschrittlichkeit zeigt sich jedoch nicht nur in der Akzeptanz und Nutzungsrate von Onlineshops, sondern auch darin, wie in Großbritannien Online eingekauft wird: Denn dort werden immer mehr Produkte über Social-Media-Apps verkauft. Zeitgleich erfreuen sich One-Click-Checkouts und digitale Geldbörsen aufgrund ihrer Bequemlichkeit enormer Beliebtheit. Großbritannien, ein Paradies für alle Online-Händler, die eine Mobile-First-Strategie verfolgen – oder diese in Zukunft vorantreiben und verfeinern wollen.

Doch neben Mobile- und Social-Selling gibt es zwei weitere wichtige Faktoren für einen erfolgreichen Verkauf in und nach Großbritannien: Vertrauen und Lokalisierung. Vier aus Fünf Verbrauchern geben an, dass gute Online-Bewertungen oder bereits getätigte Einkäufe bei einem Händler dafür sorgen, dort (erneut) einzukaufen. Eine beinahe identische Menge an Befragten gibt an, dass die angebotenen Sprachoptionen ihre Entscheidungen beeinflussen.

Österreich: Erfolg ist unter Umständen nur flüchtig

Viele Händler begehen in Österreich einen kapitalen Fehler: sie stimmen ihre Zahlungsmöglichkeiten nicht spezifisch auf den österreichischen Markt ab. Dabei sind die Zahlarten der mit Abstand wichtigste Faktor, um in unserem südlichen Nachbarland erfolgreich zu sein: 55 Prozent der Österreicher sind die Bezahlmethoden „sehr wichtig”. Zum Vergleich: im europäischen Durchschnitt sind es 47 Prozent.

Und Fehler werden in Österreich schnell bestraft; denn in keinem anderen Land lassen Verbraucher ihren Einkaufskorb schneller stehen. 58 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher brechen ihren Kauf ab, wenn sie nicht mit dem Zahlungsmittel der Wahl fortfahren können. Weitere 71 Prozent brechen den Kauf wegen hoher Versandkosten oder Steuern ab. Und auch Datensicherheit ist in Österreich wichtig: 57 Prozent der Kunden lassen ihren Warenkorb stehen, wenn sie glauben, dass eine Website ihre Daten an Dritte weitergibt.

Better Safe than Sorry: Frankreich

Apropos Datensicherheit: Gemeinhin gilt Deutschland als Paradies für den Datenschutz. Ein Trugschluss? Denn in keinem Land waren die Verbraucherinnen und Verbraucher so um die Sicherheit ihrer Daten besorgt wie in Frankreich. Sechs aus zehn Befragten gaben an, dass sie nicht bei einem Shop einkaufen, wenn sie sich um ihre Daten sorgen – ganz egal wie verlockend der Preis oder die Versand- und Retourenbedingungen sind.

Außerdem spielt der Faktor Bequemlichkeit in Frankreich eine gewichtige Rolle. Knapp zwei Dritteln der Verbraucher (62 Prozent) ist es wichtig, dass Händler Funktionen wie die Speicherung von Kartendaten für Wiederholungskäufe oder Abo-Modelle anbieten. Ein hoher Wert, schließlich liegt der europäische Durchschnitt bei 48 Prozent.

Einfacher getan als gesagt

Autorin: Die Digitalexpertin Annett Polaszewski-Plath treibt das Wachstum des Unternehmens in DACH voran. Mollie ist seit 2019 am deutschen Markt vertreten. Annett ist für die strategische Ausrichtung in der DACH-Region verantwortlich

​​Zunächst einmal klingen all diese länderspezifischen Eigenheiten ein wenig einschüchternd. Wie soll ich bei all diesen Unterschieden und Besonderheiten außerhalb Deutschlands erfolgreich sein? Schließlich muss ich meinen Onlineshops zigfach lokalen Gegebenheiten anpassen.

Tatsächlich aber ist dies – in einer schönen Umkehr des eigentlichen Sprichwortes – einfacher getan als gesagt. Denn viele Funktionen lassen sich über einen Software-Partner anpassen. Arbeiten Händler beispielsweise mit einem externen Zahlungsdienstleister zusammen, so bietet dieser in der Regel ein Gros dieser marktspezifischen Bezahlmethoden an. Der Händler muss diese „nur” in die lokalisierte Seite des Shops einbinden und freischalten. Er muss sie nicht für jeden Markt eigenständig entwickeln oder einen neuen Partner an Board holen. Gleiches gilt oft auch für Procurement-Software und weitere Tools.

Klar ist jedoch: Will man seinen Shop nicht nur im Ausland anbieten (wie immerhin 66 Prozent der deutschen Onlinehändler), sondern tatsächlich zum Erfolg führen, dann ist diese extra Meile unerlässlich. Die Kundinnen und Kunden werden die für sie bessere Customer Experience bemerken – und honorieren.