Wohin mit Überbeständen im Einzelhandel?

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Seit Ende April haben die ersten Ladengeschäfte in Deutschland unter der Berücksichtigung strenger Hygienestandards und Einlassbeschränkungen wieder geöffnet. Dennoch ist die Einkaufslaune der Deutschen noch sehr eingeschränkt, wie der Blick in die Innenstädte zeigt.

In Krisenzeiten wie diesen konzentrieren sich die Menschen verstärkt auf ihre wesentlichen Bedürfnisse. So sind Bekleidung, Schuhe und nicht lebensnotwendige Güter auf der Prioritätenliste beim Einkaufen nach unten gerutscht. Der Handelsverband Deutschland (HDE) schätzt, dass aufgrund des schrumpfenden privaten Konsums täglich 1,1 Milliarden Euro Einnahmen ausbleiben. Folglich bangen immer mehr Einzelhändler um ihre Existenz.

Bereits vor der Krise standen die meisten Einzelhändler unter starkem Margen- und Umsatzdruck. Aus der Pandemie hat sich nun eine neue finanzielle Belastung ergeben: ein Überschuss an Lagerbeständen entlang der gesamten Supply Chain. Doch die gute Nachricht ist: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Bestände abzubauen. Welche Option die jeweils richtige ist, hängt dabei von der jeweiligen Situation des Einzelhändlers ab.

Partnerschaft mit Lieferanten

Im ersten Schritt sollten sie sich mit den Lieferungen beschäftigen, die sie noch nicht erhalten haben. Sie müssen sich darüber Gedanken machen, ob sie ihre Bestellungen wie geplant abnehmen, auf spätere Termine verschieben oder stornieren. Die letzten beiden Optionen erfordern natürlich eine Abstimmung mit den Lieferanten. Zudem können Einzelhändler Vereinbarungen treffen, überschüssige nicht verkaufte Ware zurückzugeben.

Ein solches Vorgehen eignet sich insbesondere für Basislagerbestände, die zu einem späteren Zeitpunkt nachbestellt und verkauft werden können. Allerdings werden nicht alle Lieferanten derartige Vereinbarungen begrüßen, da damit auch ihre Einnahmen schrumpfen. Nichtdestotrotz sind sie unter Umständen dazu bereit, ihre Zahlungsfristen zu verlängern oder neue Bedingungen auszuhandeln, um die Geschäftsbeziehung langfristig aufrechtzuerhalten.

Jetzt vergünstigt verkaufen

Der schnellste und häufigste Ansatz zum Abbau des Lagerbestands besteht darin, Ware vergünstigt anzubieten. Angetrieben durch die Pandemie haben Einzelhändler die Verbraucher mit Online-Werbeaktionen überschwemmt. Die Angebote reichten dabei von hohen Rabatten bis hin zum kostenlosen Versand. Aber um die Aufmerksamkeit der Verbraucher für sich zu gewinnen und sie schließlich zum Kauf zu verleiten, müssen Einzelhändler kreativ werden.

Zudem können sie beispielsweise Verkaufsaktionen in den Geschäften organisieren, etwa das Verteilen von Rabatt-Coupons und Werbegeschenken, um Kunden in ihre Läden zu locken. Darüber hinaus können sie mehrere Artikel im Bundle anbieten, um diese attraktiver zu machen – etwa ein verlockendes Geschenkpaket, ein Set zu einem attraktiven Preis oder die Kombination aktueller und Auslaufmodelle. Obwohl sich Werbeaktionen und Preisnachlässe negativ auf die Gewinnspannen auswirken, lassen sich damit neue Einnahmen generieren und die Lagerbestände verringern. Dennoch sollten Händler und Marken darauf achten, dass zu hohe Rabatte ihrem Image schaden könnten. In diesem Fall ist es sinnvoller, die vergünstigte Ware über Outlets anzubieten.

Alternative Verkaufsplattformen nutzen

Angesichts „Social Distancing“ und der Schließung lokaler Geschäfte müssen stationäre Einzelhändler die traditionelle Customer Journey überdenken. So können sie auf virtuelle Marktplätze wie Amazon, Shopify, Alibaba und andere zurückgreifen, um ihre Warenbestände zu verkaufen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, einen eigenen Online-Marktplatz zu schaffen, um Inventar zu verkaufen.

Urban Outfitters beispielsweise hat einen eigenen Online-Shop eingerichtet und verkauft seine Ware darüber hinaus auch auf der ASOS-Plattform. Das erhöht gleichzeitig die Präsenz beim Kunden. Der Online-Versandhandel ermöglicht es Einzelhändlern jeder Größe, lokale und nationale Kunden zu erreichen. So können sie auch in diesen Zeiten Einnahmen generieren und überschüssige Lagerbestände reduzieren. So startete Facebook während der Krise eine kostenlose Plattform, die es Händlern erleichtert, eigene Online-Shops zu erstellen. Das Projekt soll vor allem kleinen Unternehmen dabei helfen, während der Krise zu überleben.

Spenden, statt wegwerfen

Matthias Sartor ist Senior Director Business Consulting DACH bei Infor.

Eine weitere Möglichkeit, Lagerbestände zu reduzieren bietet das Spenden überschüssiger Ware. So lassen sich nicht nur steuerliche Vorteile verwirklichen, die Händler können damit auch lokale und globale Communities unterstützen. Die Verbreitung des Covid-19-Virus und die damit verbundene ansteigende Arbeitslosigkeit hat dazu geführt, dass immer mehr Familien auf finanzielle Unterstützung sowie großzügige Spenden von Einzelhändlern angewiesen sind.

So unterstützen einige Unternehmen ortsansässige Krankenhäuser und Wohltätigkeitsorganisationen. Kleiner positiver Nebeneffekt: Spenden fungieren auch als großartiges Marketinginstrument für Einzelhändler und Marken, da sie ein Zeichen für Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft sind. Dies stärkt die Loyalität bestehender Kunden und lockt gleichzeitig potenzielle Neukunden an.

Frei nach dem Motto: Survival of the fittest

Derzeit ist unklar, wie lange die Krise noch andauern und sich auf das Kaufverhalten der Menschen auswirken wird. Umso wichtiger ist es, dass sich Einzelhändler mit dem Thema Überbestände auseinandersetzen und die bestehenden Möglichkeiten in Betracht ziehen. So wie Viren mutieren, um zu überleben, werden auch die Einzelhändler ihre Strategien ändern müssen, um langfristig zu bestehen. Damit sie schnell auf eine sich verändernde Nachfrage reagieren können, bieten verschiedene Softwareunternehmen den Einzelhändlern Lösungen zur Erstellung von datengestützten Prognosen. Die auf Künstlicher Intelligenz und Machine Learning basierende Lösung Demand Management beispielsweise unterstützt Händler dabei, mit Hilfe von Echtzeit-Daten realistische Bedarfsprognosen zu abzubilden und schnell auf Störungen entlang ihrer Supply Chain zu reagieren.