Einzelhandelstrends für die Zeit nach Corona

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Die vergangenen 18 Monate – geprägt von pandemischen Vorsichtsmaßnahmen – haben das Einkaufsverhalten der Verbraucher maßgeblich hin zu einer Art „hybriden Modells“ verändert: Viele nutzten eine Kombination aus digitalen Kanälen für den Online-Einkauf und Click-and-Collect-Diensten, um so wenig wie möglich Zeit im Geschäft verbringen zu müssen.

Um diesen Trend zu adressieren sowie Mitarbeiter und Kunden zu schützen, setzten viele zukunftsorientierte Einzelhändler auf innovative Technologien. Diese Investitionen werden die Pandemie überdauern und auch langfristig Mehrwert schaffen, beispielsweise verbessern sie das Einkaufserlebnis im Laden, und machen den kanalübergreifenden Kaufprozess fit für die Zukunft.

Trend in den Einkaufsstraßen: Das Erlebnisgeschäft

Der Aufstieg des Erlebniseinzelhandels – bei dem digitale Technologien in physischen Geschäften zum Einsatz kommen – ist ein kundengesteuerter Trend. So gaben beispielsweise 65 Prozent der Kunden in Großbritannien (und über 80 Prozent der Millennials und der Generation Z) an, dass sie ihr Einkaufsverhalten ändern würden, wenn die Läden in den Einkaufsstraßen mehr Erlebnischarakter hätten.

Immer mehr Einzelhändler adressieren diesen Wandel – darunter populäre Marken wie Nike, John Lewis, Lululemon und Levi‘s – und suchen nach neuen Möglichkeiten. Aktuell führen Augmented and Virtual Reality (AR / VR)-Anwendungen, interaktive Displays und mobile Gamification die Liste der „phygitalen“ Investitionen an.

Endless Aisle

Der Einsatz von digitalen Technologien im Geschäft treibt insbesondere zwei Verbraucherverhaltensmuster voran, die bereits vor der Pandemie beliebt waren: Showrooming (Kunden sichten Produkte im Laden und kaufen sie später online) und ROPO (research online, purchase offline).

 Dieser digitale In-Store Kiosk – auch „Endless Aisle“ genannt – verbindet Kunden im Geschäft mit dem gesamten Produktsortiment eines Einzelhändlers (stationär und online) in Echtzeit. Nach der Pandemie haben Einzelhändler die Möglichkeit, die Endless Aisle-Funktionen in digitale Bildschirme integrieren. Damit stellen sie sicher, dass Showrooming-Käufe nicht in einem anderen Geschäft getätigt werden. Kunden wiederum können dasselbe Sortiment, dieselben Werbeaktionen und Treueprämien wie über E-Commerce-Kanal in Anspruch nehmen.

Die Integration digitaler Installationen mit E-Commerce-Systemen gewährleistet, dass Kunden eine Verbindung zu ihren digitalen Profilen herstellen können, personalisierte Produktempfehlungen und Werbeaktionen erhalten. Sie sind außerdem in der Lage, auf Wunschlisten sowie den Browserverlauf ihrer digitalen „Pre-Shopping“-Listen zuzugreifen, um Produkte im Geschäft zu finden.

Trotz des Anstiegs der Einzelhandelsumsätze im Sommer leiden die Lieferketten noch immer unter den COVID-bedingten Unterbrechungen. Eine Umfrage von CBI ergab, dass die Lagerbestände der britischen Einzelhändler im Verhältnis zu den erwarteten Umsätzen im Juli 2021 einen Rekordtiefstand erreicht haben. Für den Monat August wird ein weiterer Rückgang der Lagerbestände um 27 Prozent erwartet. Mehr denn je sind „Endless Aisles“ unerlässlich, um Ausverkäufe zu vermeiden und Kunden dabei zu unterstützen, vorrätige Artikel zu finden und über ihr Smartphone oder digitale Kioske nach Hause zu bestellen.

Intelligente Spiegel

Nach der Lockerung der Covid-Beschränkungen finden zwar wieder mehr Kunden den Weg in den stationären Einzelhandel, allerdings müssen sowohl Kunden als auch Mitarbeiter sich noch immer an Social Distancing-Regeln halten, um den direkten menschlichen Kontakt zu reduzieren.

Interaktive Umkleidekabinen, die Körperscanner nutzen, ermöglichen es den Kunden beispielsweise, den Kontakt mit dem Personal zu minimieren. Intelligente Spiegel, die mit dem gesamten Ladeninventar verbunden sind, können ähnliche Stile und ergänzende Artikel vorschlagen. Der Kunde hat die Möglichkeit, etwa Kleidung virtuell anzuprobieren, bevor er sie vom Personal per Knopfdruck anfordert – und dies, ohne die Umkleidekabine verlassen zu müssen.

Ebenso können nicht vorrätige Größen und Styles durch „Endless Aisles“-Möglichkeiten lokalisiert und direkt vom Spiegel aus zu einer Online-Wunschliste oder einem digitalen Warenkorb hinzugefügt werden. Darüber hinaus lernen KI-gesteuerte Personalisierungs-Engines selbständig, welche Produkte wo und wie am erfolgreichsten verkauft werden (beispielsweise mit der Hilfe von intelligenten Spiegeln). Sie beziehen dabei auch Daten aus dem digitalen Kanal, segmentiert nach Stadt oder Postleitzahl, mit ein.

Mobile Technologien

 Die virtuelle Anprobe kann auch in mobile Apps eingebettet werden, die die Kunden im Geschäft oder von unterwegs nutzen können. Mit dem persönlichen Einkaufsassistenten „Virtual Stylist“ von Levi‘s haben Kunden beispielsweise rund um die Uhr über levi.com und Facebook Messenger die Möglichkeit, auf eine KI-gesteuerte Modeberatung zugreifen. Diese kombiniert die True Fit-Technologie von Levi‘s (die vergleicht, wie ein bestimmter Levi‘s-Stil im Vergleich zu den Styles und der Passform anderer beliebter Marken abschneidet) mit einem intelligenten Chatbot, der die richtigen Fragen stellt. Auf diese Weise wird ein Gespräch mit einem hilfsbereiten Menschen nachgestellt und gleichzeitig das Potenzial von Daten für eine personalisierte Beratung ausgeschöpft.

Augmented Reality im Einzelhandel ist nicht nur auf Kleidung beschränkt. AR und VR verbessern das Kauferlebnis für Heimdekoration und Möbel, Heimwerkerprojekte, Beauty-Produkte, Sportartikel und mehr. IKEA, Home Depot, Lowe‘s, Target, Wayfair und Anthropologie sind nur einige Marken, die ihren Kunden die Möglichkeit geben, mit Hilfe ihrer mobilen Kameras und AR eine Vorschau von Einrichtungsgegenständen in den eigenen vier Wänden zu erhalten.

Social Trend: Live-Shopping

Live-Shopping ist ein Trend, der sich in Europa und den USA rasch durchsetzt. In Asien sind Livestream-Shopping-Events sehr beliebt und generieren einen Umsatz von mehr als 60 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Auch in den USA und der EU ist Livestreaming bei einigen Marken und Einzelhändlern über Amazon, Facebook und Instagram bereits auf dem Vormarsch.

Abgesehen von Streaming-Plattformen von Drittanbietern gibt es für Einzelhändler verschiedene Möglichkeiten, Video-Co-Shopping in ihre physischen Läden und mobilen Angebote integrieren. Während der Schulanfangssaison 2020 veranstaltete Levi‘s virtuelle Live-Styling-Events für kleine Gruppen von Freunden, die gemeinsam von zu Hause aus einkaufen konnten. In der Schulanfangssaison 2021 kehrt man zum Einkaufen im Laden zurück. Video-Apps ermöglichen es den Kunden remote im Laden einzukaufen. ROPO-Kunden können im Rahmen ihrer „Pre-Shopping“-Recherchen per Video-Chat mit Mitarbeitern und Stylisten im Laden sprechen.

In Kombination mit virtuellen Kleiderschränken, virtueller Anprobe und Augmented Reality ist Video-Shopping eine Innovation, die über die Pandemie hinaus Bestand haben wird und vor allem die „digital native“-Käufer der Generation Z anspricht.

Mobiler Trend: Scan-and-Go Selbstbedienungskassen

Scan-and-Go-Selbstbedienungskassen sind sehr gefragt: 63 Prozent der Einzelhändler planen, diese Funktion bis 2022 anzubieten. Beim mobilen Self-Check-out scannen Kunden im Laden Barcodes und QR-Codes und erstellen so einen digitalen Einkaufswagen. Gezahlt wird per Kreditkarte oder mobiler Geldbörse – Warteschlangen an den Kassen lassen sich so vermeiden.

Vor Covid-19 waren 73 Prozent der Kunden an Self-Check-out interessiert. Rund 40 Prozent der Verbraucher gaben an, eher in Geschäften einzukaufen, die mobiles Self-Check-out anbieten – hauptsächlich, um Warteschlangen an der Kasse zu umgehen. Angesichts der Tatsache, dass der Abstand zwischen den Kunden mindestens 1,5 Meter betragen muss (selbst bei Warteschlangen an Selbstbedienungskassen), werden mobile Selbstbedienungskassen im Jahr 2021 noch attraktiver.

Über die vollständige Integration der digitalen Kanäle haben Einzelhändler die Möglichkeit, ihren Kunden noch mehr Vorteile zu bieten: Käufer können einen einheitlichen Warenkorb zusammenstellen. Dieser nutzt den „Endless Aisle“-Bestand und zuvor gespeicherte Warenkorbinhalte, um vergriffene und „nur online“ erhältliche Artikel nach Hause zu liefern. Im Laden gekaufte Artikel hingegen können in einer einzigen Transaktion abgeholt werden. Im Gegenzug bieten Händler Werbeaktionen und Treueprämien an, um Kunden zu ermutigen, während ihres Besuchs im Geschäft größere Warenkörbe anzulegen. Außerdem können sie die Umsätze während der gesamten Omnichannel-Reise besser zuordnen.

Schnell sicher für die Zukunft aufstellen

Um die Möglichkeiten des E-Commerce in physische Geschäfte zu bringen, müssen Einzelhändler auf eine neue Art von digitalen Handelsplattformen mit Mikroservices zurückgreifen. Microservices unterteilen Funktionen wie Katalog, Suche, Preisgestaltung, Promotionen, Inventar, Konten, Bestellungen und Check-out in unabhängige Anwendungsprogrammierschnittstellen (Application Programming Interface / API), die mit jedem Gerät oder digitalen Erlebnis verbunden werden können.

So kann beispielsweise ein intelligenter Spiegel die benötigten Inhalte und Daten von der Handelsplattform abrufen. Darüber hinaus ist die Integration von „Kaufen“-Buttons in Livestreams und soziale Apps möglich. Dabei verlangsamt eine steigende Anzahl an digitalen Transaktionen während eines Live-Events nicht die Lade- oder Checkout-Zeiten für andere Online- und Mobile-Shopper. Ein spezielles Scan-and-Go-Erlebnis kann innerhalb einer progressiven Webanwendung aktiviert werden, ohne dass eine separate native App für reibungslosen Self-Checkout entwickelt werden muss. Alle Daten und die Historie des Käufers werden dann zu seinem Kontoprofil hinzugefügt.

Glücklicherweise müssen Einzelhändler, die schnell zukunftstaugliche Erlebnisse einführen wollen, ihre Altsysteme nicht vollständig aufgeben. Mikroservices lassen sich zu bestehenden Handelsplattformen hinzufügen, um die für ein bestimmtes Erlebnis oder einen bestimmten Touchpoint erforderlichen Funktionen zu unterstützen. Phygitale Funktionen können deutlich schneller als bisher und zu weitaus geringeren Kosten entwickelt werden und nahtlose Kundenerlebnisse über digitale und physische Kanäle hinweg unterstützen.