Die Zukunft des Einzelhandels steckt in der Digitalisierung

0

Bereits seit Jahren warnen Verbände und Experten vor einem Ende des stationären Einzelhandels und verwaisten Innenstädten. Der durch die Corona-Krise verursachte Lockdown hatte für die angeschlagene Branche verheerende Folgen, die noch weitreichender waren als während der Finanzkrise 2008.

In Deutschland traf die Krise bekannte Modeketten wie Appelrath-Cüpper oder Gina Tricot. Esprit oder auch der Kaufhof-Konzern beantragten ein Schutzschirmverfahren, um sich in Eigenverwaltung zu sanieren. Vor allem in der Fashion-Industrie zeigen sich heute ähnliche Entwicklungen. Nach aktuellen Schätzungen des Handelsverband Deutschland (HDE) könnten langfristig bis zu 50.000 Geschäfte als Folge der Pandemie geschlossen werden.

Aber dies ist nur ein Teil der Geschichte. Auch während des Lockdowns haben Menschen immer noch Einkäufe getätigt, allerdings verlagerten sich diese stark ins Internet. So verzeichnete der E-Commerce im ersten Halbjahr 2020 laut dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) ein Plus von 9,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dabei landeten vor allem Waren des täglichen Bedarfs, wie Lebensmittel oder Drogerie-Produkte, in den virtuellen Einkaufskörben.

Das Gesamtvolumen dieses Warengruppen-Clusters stieg im zweiten Quartal um 51,2 Prozent. Auch Produkte aus dem Bereich „Einrichtung“, zu dem beispielsweise Möbel, Dekoartikel oder Haushaltsgeräte zählen, konnte im zweiten Quartal 2020 im Vergleich mit 25,6 Prozent ein kräftiges Plus verzeichnen. Ein möglicher Grund für den Anstieg in dieser Warengruppe könnte der Wunsch nach Verschönerungen in den eigenen vier Wänden sein, nachdem die Menschen durch den Lockdown dort mehr Zeit als üblich verbracht haben.

Es zeigt sich, dass es in der Branche auch positive Nachrichten gibt, verbunden mit einem schnellen und weitreichenden Wandel des Einkaufverhaltens. Nur Händler, die in der Lage sind, gesellschaftliche Trends schnell zu erkennen und umzusetzen, werden diesen Wandel langfristig überleben.

Einzelhändler verpassen die digitale Transformation

Schon in der Vergangenheit ist der digitale Wandel im Einzelhandel nur langsam vorangekommen. Viele Einzelhändler haben an ihrem etablierten Geschäftsmodell festgehalten und waren bisher nicht gezwungen, über digitalen Verkaufswege nachzudenken.

Laurent Letourmy, CEO von Ysance, einem Beratungsunternehmen für den Einzelhandelsbranche mit Kunden wie Sephora oder Decathlon, stellt fest, dass Händler nur zwischen zwei und 20 Prozent ihrer Einnahmen aus ihrem E-Commerce-Geschäft erzielten. Deshalb sei es wenig verwunderlich, dass Unternehmen sich vor allem auf ihr stationäres Geschäft mit Tausenden Geschäften und Mitarbeitern konzentrierten, anstatt auf ihr Online-Geschäft mit nur ein paar Hundert Angestellten.

Die Coronakrise hat verdeutlicht, wie wenig die Einzelhändler für die Digitalisierung ihres Geschäfts und der Nutzung ihrer E-Commerce-Daten bisher unternommen haben. Zwar sei es schwierig, in einer angespannten Lage eine kundenzentrische Sichtweise und Daten-basierte Entscheidungen zu implementieren, so Letourmy weiter, aber gerade in der jetzigen Situation müssten Händler ihre digitale Transformation forcieren, um langfristig zu überleben.

Schritte für eine erfolgreiche Digitalisierung

Der erste Schritt kann in einer Optimierung der eigenen Webseite liegen, um somit ein positives Kundenerlebnis zu bieten. Eine unübersichtliche oder komplizierte Homepage kann dazu führen, dass Kunden den Einkauf abbrechen und zu anderen Anbietern wechseln. Genauso wichtig ist ein umfassender Überblick auf ihre verfügbaren Waren, sowohl im Zentrallager, aber auch in den einzelnen Geschäften. Die Optimierung von Lieferketten kann laut Letourmy zu einer Umsatzsteigerung von fünf Prozent führen. Alle hierfür benötigten Informationen sind bereits in den Unternehmen vorhanden, werden jedoch häufig nicht konsequent genutzt.

Abläufe optimieren und kundenorientiertes Denken

Dabei gibt es wichtige Erwägungen: Beispielsweise die Frage, wie Unternehmen in einer globalisierten Welt mit weltweiten Lieferketten ihre Daten nutzen können, um ihre Produktion und Logistik zu steuern. Die größte Herausforderung für Händler ist die Kontrolle ihrer Lieferketten vom Anfang bis zum Ende. Selbst Amazon, einer der wenigen Einzelhändler, der aufgrund seiner effizienten Lieferstruktur besser vor Herausforderungen gewappnet ist als andere, hatte in der Coronakrise mit Problemen zu kämpfen.

Bei den wenigsten Online-Händlern erhalten Kunden eine vollumfängliche Ansicht über ihren Einkauf. Um den genauen Lieferstatus einzusehen, müssen sie oftmals die Webseite des Paketdienstes aufrufen und hoffen, dort die korrekten Informationen zu erhalten. Ähnlich verhält es sich für Unternehmen bei ihren Lager- und Produktionsdaten. Vielen Online-Händlern fehlt eine genaue Übersicht ihrer Lager- und Produktionsdaten, dies gilt sowohl für interne als auch für externe Daten. Die Folge sind  lange Verzögerungen bei der Auftragsbearbeitung. Deshalb müssen Einzelhändler im nächsten Schritt ihre internen Abläufe effizienter gestalten, aber auch das Online-Shopping kundengerecht optimieren, um den Abverkauf für die Post-Corona-Zukunft vorzubereiten.

Datenanalysen müssen in Echtzeit erfolgen

Kaufabsichten für die Zukunft. (Bildquelle: obs/Capgemini/IFH Köln / Capgemini)

Grundsätzlich haben Einzelhändler den großen Vorteil, über historische Kundendaten zu verfügen. Viele vergleichen ihre Umsätze eines Tages oder sogar einzelner Stunden mit denen vom selben Zeitpunkt im Vorjahr. Aus diesen Daten können sie präzise analysieren, was und wie viel an jedem Point of Sale verkauft wird. In diesem Jahr funktionieren diese Vergleiche jedoch nicht. Der Ausbruch von Covid-19 und dessen Folgen haben die Erwartungen an die Verkaufszahlen geändert. Um schneller auf die neuen Bedingungen zu reagieren und sich anzupassen, interessieren sich immer mehr Unternehmen dafür, wie sie ihre Daten auch in Echtzeit nutzen können. Dabei sind nicht nur die operativen Teams der Einzelhändler involviert, sondern auch deren CEOs – daher müssen Analysen auch so aufbereitet werden, dass Manager schneller zu Entscheidungen gelangen.

Die Zukunft des stationären Einzelhandels

Mittlerweile haben die Geschäfte in Deutschland wieder geöffnet und die Innenstädte sowie Shopping-Center sind gut besucht. Langfristig wird sich jedoch die Art und Weise der Shopping-Erfahrung verändern. Kunden müssen oftmals in Schlangen vor Geschäften warten und können dort beispielsweise Kleidung nicht einmal anprobieren. Dies führt zu der Frage, ob der Kauf im Geschäft diese Umstände wirklich wert ist. Diese Überlegung wird den Trend zum Online-Shopping weiter verstärken.

Eine mögliche Lösung ist ein digitales Hybrid-Modell, bei dem Händler ihre Waren auf ihrer Webseite präsentieren und ihre Social-Media-Kanäle für Eigenwerbung und Promotionen nutzen. Der physische Store wäre dann nicht mehr nur ein Ort, an dem Kunden nach Produkten suchen, sondern eine soziale Gelegenheit, um beispielsweise Freunde zu treffen. Die digitalen und sozialen Netzwerke der Einzelhändler werden entscheidend sein, um die Konsumenten zur Interaktion und zum Kauf zu motivieren.

Fazit

Um in einer Post-Corona-Welt erfolgreich zu sein, müssen Einzelhändler eine Kultur entwickeln, die auf Daten beruht und in der Veränderungen möglich sind. Unternehmen, die ihre digitalen Kanäle vernachlässigen und sich aufgrund ihrer Kultur und veralteter Geschäftspraktiken nur langsam verändern, gefährden ihre eigene Zukunft. Wer als Einzelhändler künftig erfolgreich sein möchte, muss seine vorhandenen Daten nutzen, um zeitnah das Kundenverhalten zu analysieren. Durch die Coronakrise haben viele Unternehmen diesen Prozess zwangsläufig begonnen. Zwar hat sich die Situation inzwischen entspannt, aber dennoch liegt es an den Händlern, die Transformation  weiterzutreiben und sich für die Zukunft mithilfe ihrer Daten erfolgreich aufzustellen.