Von anderen Branchen lernen

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Viele Branchen haben tiefgreifende Transformationsprozesse bereits durchlebt und stellen deshalb gute Referenzobjekte für Analogiebetrachtungen dar. In einem Branchencheck, der sich auf die Medien-, Telekommunikations-, Reise- und Einzelhandelsbranche konzentrierte, wurden in der adesso-Studie „Geschäftsmodelle 4.0“ sechs zentrale branchenübergreifende Entwicklungen identifiziert.

  1. Bündelung von Waren und Dienstleistungen und das Erschaffen eines umfassenden Kauf- und Nutzungserlebnisses

Die Wertschöpfungstiefe verändert sich dahingehend, dass Geschäftsmodelle nicht mehr in sich abgeschlossen sind, sondern von mehreren unabhängigen Marktteilnehmern gemeinsam betrieben werden können. Insbesondere Anbieter, die immaterielle Dienstleitungen im Angebotsportfolio haben, suchen verstärkt nach Möglichkeiten, ihre Leistungen „greifbar“ zu machen. In der Folge werden Leistungsangebote geschnürt, die neben den Kernleistungen erweiterte Produktkomponenten und/oder Dienstleistungen umfassen. Auch die Kunden suchen vermehrt nach „Alles-aus-einer-Hand-Leistungen“, die ihnen den Alltag vereinfachen und ein umfassendes Nutzungserlebnis verschaffen. Durch zusätzliche Leistungen (evtl. in Kooperation mit einem Partner) können Wachstumsraten im eigenen Marktsegment erschlossen werden, wo das bisherige Standard-Portfolio aufgrund von Marktsättigungseffekten keine Zuwächse zugelassen hat.

  1. Angebot und Nachfrage finden durch die Digitalisierung direkter zusammen

Physische Marktplätze verlieren durch die Digitalisierung an Bedeutung. Online-Markt-plätze bieten dem Kunden ein größeres Warensortiment als der stationäre Handel. Produktsuche und -vergleich sind online zum Teil komfortabler als im Geschäft. Für Intermediäre wird es notwendig werden, die eigene Geschäftstätigkeit entsprechend anzupassen, beispielsweise durch Fokussierung auf beratungsintensive Spezialbereiche oder begleitende Dienstleistungen.

  1. Echtzeitökonomie und „Leben in Echtzeit“

Das subjektive Zeitempfinden der Bevölkerung hat sich verändert. In der letzten Dekade wurden viele Vorgänge stark beschleunigt: Standard-Laufzeiten von Post, Paketen und Banküberweisungen wurden deutlich verkürzt. Online-Angebote und veränderte Ladenöffnungszeiten vermitteln ein Gefühl der permanenten Verfügbarkeit von Waren und Dienstleis­tungen. Infolgedessen erwarten Kunden und Interessenten in vielen Lebenslagen eine unmit­telbare Reaktion auf Anfragen und Bestellungen. Notwendigerweise beschleunigte Prozesse sind eine Folge und zugleich eine Bestätigung und Bekräftigung der Erwartungshaltungen.

  1. Emotionalität und gesteigerte Qualitätsansprüche und Services als das „neue Marketing“

Emotionalität wird zunehmend als Leitmaxime für das Handeln einer ganzen Organisation verstanden und ist weniger ein rein marketinggeprägter Begriff. Prozesse, Abläufe und Strukturen sind auf eine maximale Service-Exzellenz und Prozessqualität ausgerichtet. Dort, wo die Erwartungen der Kunden erfüllt bzw. sogar übererfüllt werden, kommen die größten positiven Emotionen zustande. Der Kunde soll begeistert werden. Produkte und Services ver­schmelzen und werden aufeinander abgestimmt. Service gilt damit als das „neue Marketing“ in einem hoch anspruchsvollen Kundenumfeld.

  1. Individualisierung und Differenzierung von Waren und Dienstleistungen zur Lifestyle-Definition

Long-Tail- oder Nischenprodukte grenzen sich gezielt von den auf dem Massenmarkt angebotenen Produkten ab und zielen auf individuelle Bedürfnisse ab. Immer mehr Kunden wünschen sich individualisierte Produkte und sind bereit, dafür einen höheren Preis zu zahlen. Automatisierte Prozessabläufe ermöglichen den Anbietern derartiger Produkte/Leistungen eine effiziente Fertigung und Vermarktung mit Mitteln der Massenfertigung (Mass Customization). Vor allem in gesättigten Märkten mit einem homogenen Leistungsangebot und hoher Wettbewerbsintensität haben die Anbieter individueller Produkte die Möglichkeit, sich vom Wettbewerb abzugrenzen und Alleinstellungsmerkmale zu schaffen.

  1. Selbstbestimmtheit und Aktivierung des Kunden

Die in der Vergangenheit oftmals viel diskutierte „Autonomie des Kunden“ erlebt durch die Digitalisierung eine neue Revolution. Der Kunde von heute ist informierter, selbstbestimmter und stellt höhere Anforderungen an die Angebote seines Händlers bzw. Dienstleisters. Durch Selbstbedienung gewinnen die Kunden eine gewisse Kontrolle über die Prozessgeschwindigkeit und – soweit relevant – über die Reihenfolge von Prozessschritten. Das gilt zwar nur für Kundengruppen, die mit Selbstbedienungssystemen zurechtkommen, aber für sie kann es eine echte Erleichterung und Zeitersparnis sein. Noch stärker wird die Identifikation, wenn der Kunde durch Crowdsourcing oder -funding spürbar in eine Produkt- oder Prozessgestaltung eingreifen kann, die über die Anpassung der von ihm bestellten Produkte hinausgeht.