Software-Flickenteppich bremst die Digitalisierung des Einzelhandels aus

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Viele Händler versuchen, bestehende Anwendungen für neue Anforderungen fit zu machen oder bestehende Prozesse durch neue Tools zu verbessern. Meist entsteht auf diese Weise aber nur ein Flickenteppich aus verschiedenen Lösungen, die nicht richtig zusammenspielen und weder die Arbeit der Mitarbeiter noch das Einkaufserlebnis der Kunden verbessern. Ein ganzheitlicher Ansatz verhindert das.

Stationäre Einzelhändler sahen sich im vergangenen Jahr mit unzähligen Herausforderungen und Unwägbarkeiten konfrontiert. Wegen der Pandemie mussten sie ihre Geschäfte teilweise über längere Zeiträume schließen und taten sich schwer, konsistente und kundenorientierte Einkaufserlebnisse zu schaffen. Sowohl Händler als auch Kunden wendeten sich neuen Technologien zu, die das Einkaufsverhalten veränderten und zu einer neuen Erwartungshaltung im Einzelhandel führten.

Mit Technologien wie Scan and Go konnten Händler ihren Kunden während der Pandemie beispielsweise ein sicheres, bequemes und kontaktloses Einkaufen ermöglichen. Heute erwarten viele Kunden schlicht, dass sie Produkte selbst scannen und bezahlen können, ohne an einer Kasse anzustehen. Die meisten Händler haben das verstanden: Deutlich mehr als die Hälfte (59 Prozent) der europäischen Einzelhändler bietet inzwischen Self-Scanning an oder arbeitet daran, es einzuführen. Darüber hinaus haben viele Einzelhändler während der vergangenen Monate auf die veränderten Einkaufsgewohnheiten reagiert und ihre Online-Angebote ausgebaut. Sie erweiterten sowohl ihr Online-Sortiment als auch die Kapazitäten für die Bestell- und Versandabwicklung, sodass Kunden komfortabel von zu Hause einkaufen können.

Doch obwohl Einzelhändler ihre digitale Transformation beschleunigt und in neue technologische Lösungen investiert haben, ist es für sie nicht leicht, nahtlose Kundenerlebnisse zu schaffen, ohne ihren gesamten Technologie-Stack auf den Prüfstand zu stellen. Das aber ist aufwändig und kostet Zeit – Zeit, die Händler eigentlich benötigen, um ihre Prozesse zu optimieren, damit sie effizienter, zuverlässiger und kosteneffektiver werden. Einer Studie von Forrester zufolge wenden die Technologieverantwortlichen bei Einzelhändlern viel zu viel Zeit und Ressourcen für die Wartung von Legacy-Infrastrukturen auf, sodass sie sich nicht richtig auf die Kundenbedürfnisse fokussieren können. Die Händler kämpfen mit veralteten Anwendungen, die sie davon abhalten, moderne und einheitliche Lösungen aufzubauen.

Daten müssen zwischen Anwendungen fließen

Damit Einzelhändler eine konsistente Kundenerfahrung über alle Kanäle hinweg bieten können, müssen in ihrer IT alle Rädchen perfekt ineinandergreifen. Doch genau das ist für viele Händler eine Herausforderung. Jede der von ihnen eingesetzten IT-Komponenten mag für sich genommen perfekt sein, aber die einzelnen Komponenten sind oft nur unzureichend miteinander verknüpft, sodass sie nicht richtig zusammenarbeiten. Im englischen Sprachraum hat sich für einen solchen Flickenteppich aus weitgehend isolierten Einzellösungen die Bezeichnung „Frankenstack“ etabliert – in Anlehnung an das aus verschiedenen Materialien erschaffene Wesen aus dem Roman „Frankenstein“.

Um einen Software-Flickenteppich beziehungsweise einen Frankenstack zu verhindern, müssen Händler bei der Modernisierung ihrer Technologien einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und sicherstellen, dass sie ihre Systeme effektiv verknüpfen, damit diese sich austauschen können. Kurzfristige Anpassungen oder schnell eingeführte Notlösungen führen nur selten zum Ziel, weil sie Händler in ihren Möglichkeiten einschränken und ihnen die Chancen verbauen, die effektivere Lösungen bieten. Letztlich zögern Händler mit einem solchen Vorgehen nur das Unvermeidliche hinaus, weil sie früher oder später in der Regel doch einen anderen, ganzheitlichen Ansatz benötigen.

Ihr Ziel sollte daher von Anfang an eine Art „Unified Commerce System“ sein – ein hochfunktionales Ökosystem aus Lösungen, die miteinander kommunizieren und sich leicht verwalten lassen und die das Markenerlebnis verbessern sowie nachhaltiges Wachstum ermöglichen. Erfahrungsgemäß lässt sich ein solches System am besten aufbauen, wenn Händler für neue Anforderungen gezielt neue Technologien einführen oder entwickeln, statt bestehende Software umzubauen. Damit ein einheitliches Gesamtsystem entsteht, müssen Händler die einzelnen Lösungen so konzipieren, dass sie verknüpft sind und Daten in Echtzeit bereitstellen. Auf diese Weise können Händler ihre Abläufe automatisieren, Trends frühzeitig erkennen und bessere Entscheidungen fällen. Gleichzeitig erleichtern ihnen die Schnittstellen die Einführung weiterer Frameworks und Lösungen, weil Daten wie auf Nervenbahnen durch das gesamte System fließen.

Mobilgeräte bieten enorme Chancen

Heutige Mobilgeräte sind extrem leistungsfähig, und ihre Performance und Speicherkapazität nimmt Jahr für Jahr zu, während die Kosten sinken. Damit bieten sie Einzelhändlern enorme Chancen, etwa im Bereich Computer Vision, der die physische Einkaufswelt mit der virtuellen verknüpft. Heute reicht es schon, ein mobiles Scanning-Gerät wie ein Smartphone oder Tablet auf Lebensmittel oder Kleidungsstücke zu richten, um Produkt- oder Bestandsinformationen abzurufen. Damit verbessert Computer Vision das Einkaufserlebnis von Kunden erheblich und erleichtert Mitarbeitern viele Routineaufgaben im Tagesgeschäft. Darüber hinaus erhalten Händler durch Datenauswertungen wertvolle Einblicke in das Einkaufsverhalten, die Entwicklung von Beständen und viele andere Dinge.

Moderne Frameworks bringen Computer Vision auf Smartphones und Tablets, sodass Kunden und Mitarbeiter schnell und zuverlässig Produkte und ganze Regalbereiche scannen können. Apps, die veraltete Anwendungen aus dem Frankenstack eines Händlers mit veralteter Scan-Hardware verknüpfen, bieten dagegen viel weniger Möglichkeiten, das Einkaufserlebnis zu verbessern und neue Umsatzchancen zu erschließen sowie Abläufe zu optimieren und Kosten zu senken.

Nicht immer bei den Prozessen starten

Häufig definieren Händler neue Geschäftsanforderungen oder schaffen neue Prozesse, für die sie dann nach passenden Lösungen suchen. Das ist allerdings nicht immer der beste Weg, um im komplexen und sich schnell verändernden Einzelhandel zu bestehen. Statt neue Technologien und Innovationen über bestehende Prozesse und Lösungen zu stülpen, ist es oft besser, von neuen, innovativen Lösungen auszugehen: Welche Chancen bieten diese dem Unternehmen? Wie können sie helfen, Prozesse effektiver zu gestalten?

Doch selbst wenn Händler die besten Tools und ihr gesamtes Wissen einsetzen, garantiert das noch keine innovativen Großtaten. Verbinden sie die Tools nur unzureichend, entsteht der angesprochene Flickenteppich und nicht das angestrebte hochfunktionale Anwendungsökosystem, in dem alle Lösungen perfekt zusammenspielen. Tauschen sich POS-Systeme beispielsweise nur rudimentär mit dem Bestellsystem aus, lässt sich das Bestellmanagement kaum optimieren. Und auch die beste Planung im Bestandsmanagement nützt wenig, wenn sich diese nicht in Aktionen im Bestell- und anderen Systemen umsetzen lässt.

Letztlich stehen Einzelhändler also vor der Frage, ob sie weiter mit Silos arbeiten und diese mühsam verbinden oder ob sie ihre Prozesse lieber mit nativen Lösungen neu gestalten wollen. Die zweite Option dürfte im hart umkämpften Einzelhandel deutlich erfolgsversprechender sein. Neue Technologien wie Computer Vision helfen Händlern bei der Neugestaltung von Abläufen und Einkaufserlebnissen, indem sie physische und digitale Einkaufswelt verschmelzen. Denn der Point of Sale ist nicht länger die Ladentheke, sondern überall dort, wo der Kunde sein Smartphone zückt.