Deutschland hat noch immer die höchste Retourenquote in Europa. Entsprechend bleiben Retouren auch weiterhin der größte Gewinnvernichter im E-Commerce, wie Studien des EHI bestätigen.
Dabei wollen sowohl Konsumenten als auch Händler und Marken die Anzahl der Rücksendungen senken – aus unterschiedlichen Gründen. Bei den Konsumenten spielt sowohl der Nachhaltigkeitsgedanke eine Rolle als auch die Kosten, die nach Jahren der Gratisretouren 2023 wieder stärker an die Kunden weitergegeben werden könnten. Bei den Unternehmen sind die Beweggründe noch vielfältiger: vom Kostendruck für interne und externe Prozesse über die Reputation in Bezug auf den Umgang mit Retouren bis hin zu Verpflichtungen im Bereich von Nachhaltigkeitsbilanzierung und ESG-Reporting.
Retourenmanagement-Spezialist BuyBay erläutert, warum die Retourenprozesse 2023 eine maßgebliche Rolle innerhalb der Geschäftsstrategie von E-Commerce Unternehmen spielen und welche neuen Wege Anbieter einschlagen könnten.
Ende der Goldgräberstimmung – Kostenpunkte unter die Lupe nehmen
Nach einer schwächeren ersten Jahreshälfte sind die Gesamtumsätze im E-Commerce laut bevh von Anfang Juli bis Ende September zum Vorjahreszeitraum um weitere 10,8 Prozent gesunken. Manch andere Branche nennt das nicht ganz zu Unrecht „Jammern auf hohem Niveau“, denn damit liegen die Umsätze noch immer 27,2 Prozent über denen im Vergleichszeitraum des Jahres 2019 – also vor dem durch die Pandemie ausgelöstem Wachstumsboom. Trotzdem spüren Hersteller und Händler nun den Geschäftseinbruch sowie die Auswirkungen der Inflation und nehmen daher interne und externe Kostenfaktoren genauestens unter die Lupe. Statt das in den Boom-Jahren eingestellte Personal zu entlassen, wollen viele Verantwortliche prüfen, ob nicht an anderer Stelle Kosten eingespart werden können.
Die Gratis-Retouren sind dabei aktuell stark in der Diskussion. Denn Deutschland ist nicht nur Europameister bei den Rücksendungen, diese sind auch bei 88,7 Prozent der Onlinehändler kostenlos. In der restlichen EU bieten nur 52,4 Prozent der Händler der Gratis-Rücksendungen. Immer mehr Anbieter haben daher nun angefangen, Lieferungen und/oder Rücksendungen in Rechnung zu stellen. Andere bieten ihren Kunden Alternativen, wie die Lieferung im „Schneckentempo“, was von den Kunden durchaus positiv angenommen wird.
Strategien zur Retouren-Prävention
Egal ob aus Umwelt- oder Kostengründen, eine Retourenstrategie, die Rücksendungen vermeidet, wirkt sich positiv auf alle Bilanzen aus. Ein wichtiger Ansatzpunkt hierzu ist eine möglichst genaue Produktbeschreibung. Denn falsche, irreführende oder missverständliche Angaben gehören zu den Hauptgründen, online gekaufte Produkte zurückzuschicken. Für eine noch bessere Einschätzung helfen bereits heute technische Tools, wie Augmented Reality. So können Kaufwillige beispielsweise einen neuen Fernseher bereits digital in ihrem Wohnzimmer sehen und so feststellen, ob das Design und die Größe des Geräts an die gewünschte Stelle passen. Neue Technologien versprechen sogar mithilfe von Avataren, Kleidung anzuprobieren oder die Passform von Schuhen für den eigenen Fuß auszuprobieren.
Universitätsstudien zeigen außerdem, dass auch verhaltenspsychologische Interventionen das Einkaufs- und Retourenverhalten beeinflussen können – besonders unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit. Eine weitere Maßnahme, die besonders bei langen Lieferwegen angeboten wird, ist es, den Käufern einen Rabatt anzubieten, wenn sie die Ware behalten, die sie zurücksenden wollten.
Argumente für Inhouse-Handling prüfen
Nicht nur bei der Prüfung von Kostenpunkten und Gewinnmargen prüfen immer mehr Anbieter, ob sie den Warenversand und die Rücksendeprozesse intern abwickeln können. Ein wichtiges Argument für viele Unternehmen ist es, ihre Kunden mithilfe der bei den Prozessen gesammelten Daten besser zu verstehen. Auf diese Weise können die Kunden nicht nur individueller mit Angeboten angesprochen werden. Auch die bei Rücksendungen angegebenen Gründe helfen dabei, die Vorlieben der Kunden besser zu verstehen. Außerdem ist gerade Markenherstellern ihre Reputation sehr wichtig. So wollen Premium-Hersteller sicherstellen, dass die Qualität der B-Ware ihren Ansprüchen genügt und übernehmen diese Aufgabe daher lieber selbst.
Hinzu kommt auch hier der Faktor Nachhaltigkeit. Vor allem bei großformatigen Produkten, beispielsweise Haushaltsgeräten oder Möbeln, ließe sich durch das Vermeiden von zusätzlichen Transportwegen zwischen Kunde, Händler, Logistikpartner und Hersteller der logistische Aufwand reduzieren und damit Kosten und Emissionen einsparen. Das zahlt wiederum auch auf die Nachhaltigkeitsbilanz (ESG) ein. Aber auch die Kunden honorieren nachhaltige Geschäftspraktiken und wählen ihre bevorzugten Marken und Händler immer stärker nach solchen Kriterien aus.
Allerdings ist es für viele Anbieter eine große Herausforderung, alle Prozesse intern abzubilden – von der Digitalisierung der Retouren-Etiketten (inklusive der Prozesse zur Datenerfassung mithilfe von Machine Learning und Predictive Insights) bis zur Bewertung und dem erneuten Verkauf von Retouren. Hier lohnt es sich zu prüfen, ob sich die Entwicklung eigener Tools, der Einsatz einer Software-Lösung am eignen Lagerstandort oder eine Partnerschaft für die Abwicklung rechnet.
Von Käufer zu Käufer – ein neues Retouren-Ökosystem?
Noch weiter verringern ließen sich die Transportwege, wenn Artikel statt zurück zum Händler oder Hersteller, direkt vom ursprünglichen Käufer an einen neuen Käufer gesendet werden könnten. Auch hierfür gibt es erste Praxisbeispiele. Wenn solche Abläufe jedoch professionell und in größerem Umfang umgesetzt werden, hängt der Erfolg von einer intelligenten Unterstützung der Prozesse ab. Kunde 1 sollte im Idealfall mithilfe standardisierter Kriterien und Fotos den Produktzustand beschreiben können, bevor die Ware erneut in den Verkauf geht. So wissen die neuen Käufer, ob es ein neuwertiges Produkt ist, bei dem sich der erste Besteller nur mit der Farbe vertan hat oder ob sie auf diese Weise ein qualitativ hochwertiges Produkt mit beschädigter Packung oder einem kleinen Kratzer mit einem Preisnachlass kaufen können. Eine digitalisierte Etikettierung sowie weitere unterstützende Services, könnten sicherstellen, dass alle Beteiligten ein zufriedenstellendes Einkaufserlebnis haben.
„Es zeigt sich immer deutlicher, dass der sorgsame und intelligente Umgang mit Produkten und Ressourcen ein wichtiges Element für den Erfolg im (Online)Handel ist. Hier wird es spannend zu beobachten, welche Wege Hersteller und Händler 2023 und in den Folgejahren einschlagen werden. Die Entwicklung intelligenter Software-Tools und digital unterstützter Prozesse macht auf jeden Fall den Aufbau neuer Abläufe möglich“, resümiert Jessica Weber, Business Development Manager bei BuyBay. „Auf Seiten der Konsumenten ist das Interesse an nachhaltigen Geschäftspraktiken auf jeden Fall hoch. Zudem ist der Kauf retournierter Produkte nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch ein mittlerweile beliebter Weg, Produkte günstiger zu kaufen als frisch aus der Fabrik.“