Kommentar: Kūnstliche Intelligenz im Handel

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Künstliche Intelligenz (KI) gilt als letzter Schrei in der IT. Auch im Handel. Sie soll produktive Kräfte freisetzen, Umsatz und Gewinn antreiben und die Kunden zufriedener machen. Doch Otto verkauft jetzt seine Anteile am KI-Unternehmen Blue Yonder.

Die Otto Group und Warburg Pincus, ein Private-Equity-Unternehmen, haben angekündigt, ihre Anteile an der vor zehn Jahren gegründeten Firma Blue Yonder aus Karlsruhe an den US-Hersteller JDA Software zu verkaufen. Gründer war der Kernphysiker und KI-Fachmann Michael Feindt, der dem Unternehmen laut FAZ treu bleiben soll. Er soll für Blue Yonder und JDA Software “die technologischen Innovationen weiter vorantreiben”. Feindt begrüsste die Übernahme explizit: ”Das Blue-Yonder-Team freut sich über die Beschleunigung und Erweiterung unserer Mission, erstklassige KI-basierte Entscheidungen zu treffen, um Unternehmen auf der ganzen Welt positive Kundenerlebnisse, höhere Umsätze und Margen zu ermöglichen.”

Der Weg dorthin geht über die Leistungen von KI, zu denen gehören sollen: Optimierung des Warenbestandes, automatisierte Lieferkettenentscheidungen und positive Kundenerlebnisse. Insgesamt strebt Blue Yonder nichts weniger als eine “Revolutionierung des Handels an”: “Durch die Automatisierung komplexer Entscheidungen auf Basis von KI lassen sich der Gewinn und der Kundennutzen deutlich steigern.” Durch maschinelles Lernen soll Einzelhändlern jeweils der optimale Preis für jedes Produkt und jede beliebige Einkaufssituation vorgeschlagen werden. Dies soll Umsatz und Gewinn um mehr als fünf Prozent erhöhen.

Ganz so revolutionär wird es mit Hilfe von KI wohl doch nicht im Handel vorgehen. Denn ähnliche Steigerungsraten kennen Retailer schon aus den Ratschlägen einschlägiger Wirtschaftshandbücher oder Seminare von Bitkom und den regionalen Handelskammern. Nicht zu vergessen die Legionen von Consultants und Steuerberatern.

Auch gut ausgefüllte Excel-Tabellen haben schon so manchem Retailer weitergeholfen

Nun also Künstliche Intelligenz. Dabei dürfte dieser Begriff zu jenen gehören, die in der Welt der IT am wenigsten mit konkretem Inhalt gefüllt sind. Zunächst muss man festhalten, dass “Intelligenz” etwas mit Menschen, ihren Fähigkeiten, ihrer Ausbildung und ihren Erfahrungen zu tun hat. Wer zum Beispiel in einer Personalabteilung beschäftigt ist, wird mit der Zeit über die Erfahrung verfügen, die “richtigen” von den “falschen” oder den “nicht so geeigneten” Kandidaten für eine Einstellung (längerfristig oder nur für kürzere Zeit) zu unterscheiden. (Menschlicher) Irrtum eingeschlossen.

Das, was als “künstlicher” Anteil hinzukommt – und vielleicht den menschllchen Anteil in kaum vorstellbarem Ausmaß übertrifft – ist eigentlich gar nicht so neu. Denn mit der Erfindung und beständig erweiterten Information Technology (IT), die seit mehreren Jahrzehnten in die Betriebe und die privaten Haushalte Einzug gehalten hat, ist da schon sehr viel “Künstliches” im Gange. Schon seit längerem muss man sich keine Telefonnummern mehr merken (oder irgendwo aufschreiben), weil unsere Smart Phones und auch die älteren Apparate sich solche Kleinigkeiten besser merken.

Wikipedia gibt folgendes zu bedenken: “Künstliche Intelligenz (KI, auch Artifizielle Intelligenz (AI bzw. A. I.), englisch artificial intelligence, AI) ist ein Teilgebiet der Informatik, welches sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem Maschinenlernen befasst. Der Begriff ist insofern nicht eindeutig abgrenzbar, als es bereits an einer genauen Definition von „Intelligenz“ mangelt. Dennoch wird er in Forschung und Entwicklung verwendet.”

“Menschenähnliche Entscheidungsstrukturen” finden sich in Computern und einigen Programmen, die so gebaut sind, dass sie eigenständig zwischen Alternativen auswählen können. Bei Blue Yonder hört sich das so an: “Blue Yonder Price Optimization reagiert sehr schnell auf Marktveränderungen und berücksichtigt neben den Verkaufszahlen auch Verkaufsaktionen, besondere Ereignisse und das Wetter. Die Lösung zahlt auf die Preisstrategie entlang des gesamten Produktlebenszyklus ein und erzielt innerhalb kurzer Zeit messbare Ergebnisse sowie einen Return on Investment.” Mit der Anzahl der berücksichtigten Faktoren bei der Preisgestaltung erzielt man sicher per Software bessere und zeitnahe Preisvorschläge.

Kunden sind u.a. die Otto Group, Kaufland, Globus, dm und die britische Supermarktkette WM Morrisons. JDA Software setzt mit dem Kauf darauf, Künstliche Intelligenz stärker für Planungsprozesse im Einzelhandel, besonders bei der Lieferkette oder beim Mitarbeiter-Management einzusetzen. JDA-Vorstandschef Girish Rishi bekräfitgt: “Die Fähigkeit, schnell auf intelligente, umfassende Daten und Erkenntnisse zuzugreifen, wird die zukünftigen Gewinner und Verlierer bestimmen.” JDA, Spezialist für Suppl Chain Management und andere ERP-Lösungen, hat ein eBook mit dem Titel “Retail Reimmagined for Dummies” (https://jda.com/knowledge-center/books) herausgegeben. In dem es um die Verbesserung bestehender Retail-Prozesse geht.

Interessenten aus der Retail-Branche sollten unterscheiden zwischen den realen Software-Vorteilen, die Hersteller wie Blue Yonder und JDA Software anbieten, und dem Drumherum aus Schlagwörtern wie “Künstliche Intelligenz”, “Digitalisierung” oder “Digitale Revolution”.

Digital ist die IT eigentlich schon seit ihren Anfangstagen vor über 50 Jahren – Mainframes oder Cobol sind noch heute recht nützliche “digitale” Werkzeuge. Und Supply Chain Management oder “intelligente” Werkzeuge für HR (Human Relations) gibt es auch schon länger.

Bevor man neue KI-Tools einkauft, sollte man sie ausgiebig testen und nach Kundenreferenzen fragen. Ansonsten würde man die eigene Intelligenz unterfordern.