Spieglein, Spieglein – H&M bringt einen Spiegel zum Sprechen

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In New York experimentiert der Modehändler mit einem Spiegel, der seine Kunden berät. Microsoft, Ombori und 21Visual Art sind mit an Bord. Ein neuer Trend am POS?

Die Parallelen zu einem weltbekannten Märchen sind wohl nicht zufällig: „Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ pflegte Schneewittchens böse Stiefmutter ihren Spiegel zu fragen, und um Schönheit geht es auch bei dem Spiegel, den H&M in seinem Flagship Store am New Yorker Times Square aufgestellt hat. Wie der Spiegel im Märchen kann auch der Spiegel in New York sehen, hören und sprechen. Anders als sein märchenhafter Vorgänger fällt er aber kein Urteil darüber, wer die Schönste im Land ist – wir wissen ja, wozu das führte – sondern gibt den Betrachtern und Betrachterinnen Tipps für passende Outfits.

Wer von dem Vorschlag des sprechenden Spiegels halbwegs überzeugt ist, scannt dann mit seinem Smartphone einen QR-Code. Will er oder sie sich nicht gleich im Laden entscheiden, lassen sich die Kleidungsstücke so auch noch später komfortabel online ordern. Wer das Angebot nutzt, bekommt zur Belohnung einen Rabatt von zehn Prozent.

„H&M kann der Tesla der Mode werden.“
H&M-Chef Karl-Johan Persson

Ein ganz klein wenig appelliert der Spiegel, seinem Vorbild aus Grimms Märchen entsprechend, allerdings auch an die Eitelkeit. Eine zweite Funktion ermöglicht es, Selfies zu schießen, die dann in das Cover des H&M-Kundenmagazins eingebettet werden. Dieses individuelle Cover ist nach Angaben des Unternehmens ausschließlich für den Kunden bestimmt, kann über einen QR-Code auf das eigene Smartphone geladen werden, und wird anschließend wieder vom Server gelöscht. Nach Angaben von Visual Art haben 86 Prozent der Kunden, die ein Selfie geschossen haben, so einen QR-Code eingescannt, und jeder zehnte von ihnen hat anschließend den Newsletter von H&M abonniert.

Keine Mode-KI

Eine Art von KI verwendet der sprechende Spiegel für das Kundengespräch und die Gesichtserkennung. Bei der modischen Beratung spielt künstliche Intelligenz aber keine Rolle: Nachdem der Kunde seine Wahl zwischen den Kategorien „Modern Classics“, „Trend“ und „Casual“ getroffen hat, schlägt der Spiegel ein Outfit aus dieser Kategorie vor, das im Onlineshop gerade besonders beliebt ist. Letztlich bietet der Spiegel also klassisches Online-Marketing – wer bei Amazon eine Kategorie aufruft, bekommt ja ebenfalls als erstes die beliebtesten Produkte aus dieser Kategorie vorgeschlagen. H&M hat es mit dem sprechenden Spiegel aber immerhin geschafft, diese Funktion aus der Onlinewelt in das Ladenlokal, zumindest in das von New York, zu holen.

In Deutschland wird der sprechende Spiegel wohl vorerst nicht in die Läden kommen. Hierzulande hat H&M zum Ausbau seines Online-Geschäfts Ende Januar eine neue App präsentiert – anders als der sprechende Spiegel war deren Start allerdings eine gelinde Katastrophe: Der Login funktionierte vielfach nicht, die Kontendaten waren verschwunden oder durcheinander geraten, einzelne, von den Nutzern präferierte Zahlungsmethoden waren nicht mehr verfügbar, und, für viele am ärgerlichsten, die Preise der im Warenkorb abgelegten Artikel änderten sich immer wieder – teils bis zum Dreifachen des ursprünglich angezeigten Preises. Immer noch im Januar hatte H&M die Lage, und vor allem die App, wieder im Griff.

Übrigens: Was H&M bislang nur in New York wagt, hat Karstadt bereits vor einiger Zeit in zumindest ähnlicher Form nach Düsseldorf gebracht: Ein digitales, interaktives Schaufenster: Die Passanten, die darauf aufmerksam werden, haben die Möglichkeit, sich gleich vor Ort durch das Warenangebot des Kaufhauses zu klicken. Haben sie sich entschieden, ein Angebot zu kaufen, gehen sie entweder direkt ins Geschäft, oder sie übertragen einen Warenkorb per „Beam Basket“ auf das Smartphone – dazu scannen sie, ganz wie bei H&Ms sprechendem Spiegel, einen QR-Code, den ihnen das interaktive Schaufenster zeigt, und schließen den Kauf dann online ab. Bedeutender Unterschied: Bei Karstadt fällt die Zwiesprache weg – wer die irritierten Blicke scheut, die unweigerlich jeden treffen, der in aller Öffentlichkeit mit einer Maschine plaudert, wird das begrüßen.