Zwischen den Waren, die Kunden im stationären Handel kaufen und digitalen Produkten scheinen Welten zu liegen. Händler, die ihren Kunden Waren aus beiden Welten bieten wollen, lagern den Verkauf digitaler Waren mitunter ganz in einen Online-Shop aus. Doch es gibt noch mehr Schnittstellen, die sich lohnen.
„All business is local“ ist eine dieser Geschäftsweisheiten, deren Gültigkeit seit dem Siegeszug des Internets immer häufiger angezweifelt wird. Immer mehr der guten alten Ladengeschäfte schließen, wenn ihre vorwiegend vertriebenen Produkte von digitalen Alternativen abgelöst werden.
Plattenläden sind – trotz einer vom Zeitgeist neu entfachten Vinyl-Begeisterung – rar geworden, seit erst MP3s, dann Streaming-Angebote den Musikbedarf vieler einstiger Kunden stillen. Auch im Buchhandel geht die Angst vor dem E-Book um, das sich derzeit nur dank der Preispolitik der Verlage noch nicht so richtig durchsetzen kann. Ähnliches gilt für die Fotogeschäfte, deren Umsätze aus dem Handel mit fotografischem Film und dem Entwickeln selbiger nahezu komplett weggebrochen sind.
Nullen und Einsen zum Anfassen
Gerade das Beispiel des Foto-Fachhandels zeigt aber: Die Digitalisierung eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten. Poster und Leinwanddrucke an der Wand, gebundene Fotobücher im Regal, Fotos auf Hochglanzpapier für Glückwunsch- oder Dankeskarten können Fotofreunde auch im Internet bestellen – müssen sie aber nicht. Überraschend ist es allerdings nicht der Fachhandel, der diese Chance als erstes genutzt hat: In Drogeriemärkten, bei Elektronik-Discountern und in Copyshops stehen die weitaus meisten Terminals, an denen Kunden – meist ganz ohne Hilfe eines beratenden Verkäufers – Fotoprodukte ihrer digitalen Daten in Auftrag geben und, abhängig von Art und Umfang, sofort drucken lassen und mitnehmen können. Dabei könnten Fotografen gegenüber ihren Kunden gerade an solchen Selbstbedienungs-Automaten ihre wichtigste Stärke ausspielen: Ihr Know How. Wie eine Studie des IFH Köln im vergangenen Jahr zeigte, bemängeln Konsumenten beim stationären Einzelhandel nicht zuletzt eine unzureichende Bereitschaft zur Beratung (https://www.ifhkoeln.de/pressemitteilungen/details/realitaetscheck-fuer-den-stationaeren-einzelhandel-beratung-verfuegbarkeit-und-sortiment-muessen-weiter-verbessert-werden/).
Auch das Überführen analoger Daten in digitale Formate kann ein lukratives Geschäftsmodell für den Einzelhandel sein. Zwar digitalisieren einige der technisch versierteren Musikfreunde ihre Vinyl-Schallplatten und Musikkassetten selbst, aber so mancher Musikliebhaber ist gern bereit, einen Dienstleister mit dieser – mit der typischen Ausrüstung eines Konsumenten – doch recht aufwändigen und zeitraubenden Arbeit zu beauftragen. Gleiches gilt für die guten alten VHS-Kassetten oder Super 8-Streifen, die in privaten Antiquariaten lagern. An der Zukunftsfähigkeit eines solchen Geschäftsmodells dürfen Händler zurecht zweifeln, doch in der Gegenwart existiert ein nicht zu leugnender Bedarf.
Downloads direkt im Laden
Ein Markt, der noch auf seinen Durchbruch wartet, ist der für E-Books. Verlage halten die Preise für digitale Bücher bislang überwiegend auf einem Niveau, das den Lesern den Umstieg von Papier unattraktiv macht. Steigende Papierpreise und eine rege Piraterie-Szene lassen es aber als unwahrscheinlich erscheinen, dass diese Strategie auf Dauer aufgeht.
Einer der ersten großen Buchhändler in Deutschland, die sich auf einen E-Book-Aufschwung eingestellt haben, ist Thalia: Seit April 2017 können Kunden in den Buchhandlungen E-Books kaufen. Beim Kauf erhält der Kunde an der Kasse einen Download-Code. Nach Einlösen des Codes kann das eBook auf den tolino eReadern, am PC oder über die kostenlose tolino App für Android und iOS gelesen werden. Für einen Download vor Ort bieten die Buchhandlungen kostenloses WLAN an. Und wer das E-Book gar nicht für sich selbst, sondern verschenken will, kann sich den Download-Code an der Kasse ansprechend verpacken lassen.
Analoge Produkte mit digitalem Mehrwert
Auch beim Handel mit physischen Produkten kann ein digitaler Mehrwert den entscheidenden Kaufanreiz ausmachen. Amazon macht das beim Verkauf der guten alten Audio-CDs vor: Kunden, die eine physische CD erwerben, erhalten über einen Amazon-eigenen Cloud-Service Zugriff auf die Songs im frei nutzbaren MP3-Format. Händler, die das im Ladengeschäft nachahmen wollen, müssen sich allerdings vorher um einen entsprechenden Vertrag mit dem Vertrieb des Musiklabels bemühen.
Auch im Marketing lassen sich solche Schnittstellen im Rahmen spezieller Werbeaktionen einsetzen: Bierbrauer Becks hat eine Zeit lang in den Deckeln seiner Bierflaschen einen Download-Code untergebracht, über den sich Biertrinker Musik herunterladen konnten. Pro Bierkasten bekam der Konsument also zwanzig Songs geschenkt.
Fazit: Digitale Chancen nutzen
Dass sich digitale Produkte nicht anfassen lassen, bedeutet nicht, dass sie im stationären Handel nichts verloren hätten. Fachhändler können im Wettbewerb mit Online-Anbietern nicht zuletzt ihr Know How in die Waagschale werfen. Noch immer ist die persönliche Beratung für viele Konsumenten der wichtigste Kaufgrund – auch, wenn er in Nullen und Einsen investiert.
„Der künftig erfolgreiche stationäre – dann „hybride“ – Handel wird das Internet nicht als Gegner betrachten, sondern als große Chance.“
Prof. Dr. Georg Rainer Hofmann, Leiter der eco Kompetenzgruppe E-Commerce https://e-commerce.eco.de/
(dme)