Das Ende von Cash und die Alternativen

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Die Deutschen lieben ihr Bargeld. Verschlafen sie deshalb die neuesten Bezahlmethoden? Ein Blick in die Welt der Zahlungssysteme lohnt sich.

Wer in der Londoner U-Bahn als Tourist oder als Einheimischer einen Fahrschein für eine einfache Strecke kaufen will, hat mehrere Möglichkeiten: Er stellt sich in eine Schlange vor einen Schalter mit Personal und lässt sich dort bedienen (wenn er denn einen solchen Schalter findet), er stellt sich in eine Schlange vor einen der zahlreichen Automaten und kämpft solo mit Strecken, Zielbahnhof, Tarifen, Pounds und Pennys – oder er zückt seine Kreditkarte und zieht sie kurz und kontaktlos über eine Art Schalter an den automatischen Eingangsschleusen runter zu den Bahnsteigen. Anstelle eines Fahrscheins wiederholt er diese Operation mit seiner Kreditkarte, wenn er den Zielbahnhof durch eine dieser Schleusen wieder verlässt. Das ist alles. Das Geld für den virtuellen Fahrschein wird von seiner Kreditkarte abgebucht.

Die Londoner Verkehrsgesellschaft hat noch viele weitere elektronische Tages-, Wochen- und Monatskarten in ihrem „Oyster“-Programm, das einer Weltstadt und ihrem Verkehrsaufkommen würdig ist. Aber das ist ein anderes Thema. Wichtig für das Verständnis moderner Zahlungssysteme ist, dass nicht nur die Bedeutung von Bargeld und Checks global zurückgeht, sondern das neben den Kreditkarten weitere rein digitale Bezahlmethoden immer mehr an Bedeutung gewinnen. Und das hat Folgen für den Handel.

Viel Bewegung in der Welt der Zahlungssysteme

Egal, ob man seine kontaktlose Kreditkarte in der Londoner U-Bahn oder beim Einkauf im Supermarkt benützt oder ob man seine Hotel- und Flugbuchung im Internet rein digital mit PayPal oder über seine Bank bezahlt, immer sind im Hintergrund Transaktionsgesellschaften beteiligt, die für den Fluss der Gelder sorgen. Erst kürzlich erfolgte laut einem Bericht der Financial Times die Übernahme des britischen Payment-Spezialisten Worldpay durch den amerikanischen Konkurrenten Vantiv. Kaufpreis: 9,1 Milliarden Pfund. Durch die bereits eingetretenen Brexit-Folgen hatte Worldpay seine Rolle als möglicher Übernahmekandidat von Vantiv verloren: Die englische Währung verlor an Wert und zog die Worldpay-Aktien mit nach unten.

Die Software von Worldpay setzt Unternehmen in die Lage, 324 verschiedene Bezahlsysteme zu akzeptieren, die von UnionPay in China bis zu Qiwi in Russland oder Boleto in Brasilien reichen. Die Probleme, die mit der Akzeptanz fremder Währungs- und Bezahlsysteme zusammenhängen, werden von Firmen wie Worldpay eliminiert. Philip Jansen, CEO von Woldpay, ist der Ansicht: „Die großen Trends von mobilem und Online-Handel umfassen sehr viele Märkte, und wir und andere Payment-Unternehmen profitieren davon.“

Die verfügbaren Zahlen für 2015, die Capgemini jetzt in einem Report veröffentlicht hat, belegen, dass allein in diesem Jahr die Anzahl globaler Non-Cash-Transaktionen um 11,2 Prozent auf insgesamt 433 Milliarden Dollar angestiegen ist. Und das Consulting-Unternehmen McKinsey sagt voraus, dass die Umsätze, die mit globalen Zahlungen verdient werden, von 1,8 Billionen Dollar im Jahr 2014 auf 2,2 Billionen Dollar im Jahr 2020 ansteigen werden.

Ein riesiger Markt ist im Entstehen, der nicht nur die Begehrlichkeiten traditioneller Finanzinstitutionen weckt, sondern auch neue Player auf den Markt ruft. Digitale Zahlungen mit lauter kleineren Beträgen spielen schon jetzt eine Rolle in der so genannten „sharing economy“ von Unternehmen wie Uber oder Deliveroo (Bestelldienst nach Hause oder ins Büro für Mahlzeiten aus gehobenen Restaurants), wo sie sich zu großen mobilen oder digitalen Beträgen summieren. Getrieben werden solche Transaktionen auch von „Digital Wallets“ wie Apple Pay oder Android Pay, bei denen statt mit Cash mit dem Smart Phone an einem Terminal bezahlt wird.

Wer wird in dem Kampf gegen Cash siegen?

In dem Capgemini-Report ist die Rede davon, dass sich die Regierungen in einigen nordeuropäischen Staaten aktiv gegen Bargeld als Zahlungsmittel ausgesprochen haben, weil sie sich von den alternativen Bezahlmethoden höhere Steuern erhoffen. Und Unternehmen sprechen sich ebenfalls dafür aus, da sie sich weniger Warenschwund oder Diebstahl erwarten und generell davon ausgehen, dass die Konsumenten mit wachsender Tendenz ohne Cash einkaufen oder verreisen wollen.

Besonders dramatisch ging es im November 2016 in Indien zu, als die Regierung beschloss, 86 Prozent der einheimischen Banknoten aus dem Verkehr zu ziehen, doch der eigentliche Vorreiter ist in Schweden zu sehen: Dort will man die erste bargeldlose Gesellschaft schaffen. Banknoten und Münzen machten 2016 in Schweden nur noch ein Fünftel der Bezahlvorgänge in den Geschäften aus – weit weniger als der weltweite Durchschnitt von 75 Prozent.

Der Finanzsektor und hier besonders die traditionellen Player Banken und Kreditkartengesellschaften sehen sich in diesem Umfeld neuen Herausforderungen gegenüber. Da sind zum einen die so genannten „Fintech“-Unternehmen, die auf IT-Anwendungen setzen, um den Konsumenten und den Händlern schnellere, einfachere und billigere Abrechnungsmethoden zu bieten. Einige setzen auf die Blockchain-Technologie, ursprünglich eine Methode für sichere Datenübertragung, oder auf Ersatzwährungen wie Bitcoin.

„Geographische Grenzen werden auf diesem Feld umgangen, und viele lokale Player werden durch mehr global orientierte Anbieter verdrängt werden, die eine größere Bandbreite von Zahlungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen können“, lautet die Prognose von John Collison, Co-Founder von Stripe, das seit 2010 Dienstleistungen für Online-Zahlungen anbietet. Das ursprünglich irische Unternehmen hat den Sprung ins Silicon Valley geschafft, das sich immer mehr auch zu einem Ort von Finance Services entwickelt.

Die Verdienste in der Branche setzen sich aus vielen einzelnen Zuschlägen zusammen. So beträgt zum Beispiel laut Financial Times in Großbritannien die Geldsumme, die Händler für jede Transaktion von Kreditkarten bezahlen müssen, 0,68 Prozent. Dies summiert sich auf 3,4 Milliarden Pfund bei einem jährlichen Kartenumsatz von etwa 500 Milliarden allein für das letzte Jahr.

Die Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen Dienstleistern dürfte deutlich verschärft werden, sobald die EU ihre geplante zweite Direktive für Payment Services verabschiedet hat. Die Entscheidung wird für 2018 erwartet: Sie soll es Kunden erleichtern, einen direkten Geldtransfer von ihrer Bank zu einem Retailer zu autorisieren, der an den teuren Kartennetzwerken vorbeiführt. Analysten wie Bob Liao von Macquarie gehen davon aus, dass sich dann die Transaktionseinnahmen der Kartenanbieter halbieren werden. Die europäische Entscheidung wird ähnliche Maßnahmen in Asien, Australien und Amerika nach sich ziehen, ist Liao überzeugt.

Neue Verdienstmöglichkeiten für die Finanzdienstleister könnten sich durch den Verkauf von Informationen über das Konsumentenverhalten ergeben: Retailer erhielten dann Daten, wann und wo Kunden zum Beispiel Geschäfte in einer Branche aufsuchen und was die am meisten verkauften Produkte sind. Worldpay führt zum Beispiel täglich 41 Millionen Transaktionen im Durchschnitt durch – viel Stoff für Big-Data-Analysen.

Außerdem werden zur Zeit Apps für Smart Phones und Tablets getestet, mit denen Händler Zahlungen ohne den Umweg über Finanzdienstleister akzeptieren können. Ein neues Ökosystem für Payments wächst mit solchen Aktionen heran, getrieben auch von den Plänen großer IT-Unternehmen wie Google, Apple, Facebook oder Amazon, die alle ihre eigenen E-Payment-Aktivitäten unterhalten und an dem boomenden Markt partizipieren wollen.

Zu beobachten sind ferner die neuen Entwicklungen außerhalb von Europa und den USA. Bargeldlose Transaktionen steigen dort überdurchschnittlich an, für 2015 nennt Capgemini zum Beispiel ein Wachstum von 22 Prozent, wobei China allein 64 Prozent zulegte. Digitale Zahlungen werden in China vor allem von Alipay (Alibaba) und von WeixinPay (Tencent) abgewickelt.

2016 wurden laut iResearch in China mobile Zahlungen im Umfang von 5,5 Billionen Dollar durchgeführt, eine Summe, die 50 mal größer ist als die im gleichen Jahr in den USA erfolgten mobilen Zahlungen von 112 Milliarden Dollar. Die chinesischen Dienstleister schauen dabei schon über ihre Landesgrenzen hinaus: Alipay investierte kräftig in PayTM, ein führendes Unternehmen für mobile Zahlungen in Indien. Außerdem beteiligte sich Alipay mit 1,2 Milliarden Dollar an MoneyGram, einer amerikanischen Gruppe für Geldüberweisungen.

Weitere Veränderungen bei der Payment-Industrie sind zu erwarten, vor allem gestützt auf neue Technologien und die großen Investitionen in diesen zukunftsträchtigen Markt.

Eines sollte man aber nicht vergessen: Eine Bezahlung bleibt eine Bezahlung, egal in welcher Form sie erfolgt und abgewickelt wird. Daran ändert sich trotz all der technologischen Umbrüche außer der Form rein gar nichts. Und verschenkt wird auch in Zukunft nichts.