Big Data Analytics – was der Handel von der Kuh lernen kann

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Die Internetgiganten wälzen den Handel um. Das Nebeneinander von stationär und online ist passé. Grund sind die Auswertungsmöglichkeiten selbst sehr großer Datenmengen. Das ist im Grunde gar nicht so neu. Trotzdem scheinen die Online-Riesen  hier die Nase vorn zu haben.

Was schon seit einigen Jahren wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Handelsriesen drohend schwebt, wird wahr: Die Internetgiganten, die den Handel in der Online-Welt revolutioniert haben, treten in direkte Konkurrenz zu den stationären Händlern. Dabei wird klar: Es geht nicht um das Entweder-Oder zwischen „offline“ und „online“, sondern um die Kombination beider Welten. Reine Showräume oder Einkaufsmärkte ohne Kassen legen ein beredtes Zeugnis davon ab. Hinzu kommt: Das Internet ermöglicht nicht nur der Online-Konkurrenz, sondern auch den Herstellern einen direkten Zugang zu den Endverbrauchern. Neben Logistik-Know-how und Einkaufsmacht droht der Handel auch seinen dritten strukturellen Wettbewerbsvorteil zu verlieren: die exklusive Kundenbeziehung.

Die daraus folgenden Umwälzungen dürften gewaltig sein, vergleichbar vielleicht mit dem Übergang vom Tante-Emma-Laden um die Ecke zu den Super- und Hypermärkten, erneut mit massiven Folgen für Arbeitsmarkt und Infrastruktur. Grund für diese Entwicklung sind nicht nur die Online-Kompetenz und Skaleneffekte durch das rasante Wachstum der Internetgiganten der letzten zwanzig Jahre. Vielmehr ist es das Know-how, Daten zu analysieren und für die Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells zu nutzen, das den großen Online-Anbietern den Weg in die stationäre Welt ebnet.

Wer sich vor Augen führt, wie schnell diese Entwicklung vonstattengeht und wie groß der Vorsprung der Internetfirmen in Sachen Digitalkompetenz im Einzelfall tatsächlich ist, könnte fast die Hoffnung verlieren. Welche Chance hat der traditionelle Handel eigentlich noch, könnte man fragen?

Daten: die traditionelle Stärke des Handels

Ganz so hoffnungslos ist die Sache indes nicht. Nicht jeder Internetriese versteht Logistik in all ihren Facetten, zum Beispiel beim Transport von Frischwaren. Zudem dürfte es nicht so einfach sein, die bestehenden Beziehungen zwischen Herstellern und Erzeugern auf der einen und dem Handel auf der anderen Seite aufzubrechen und zu übernehmen. Drittens aber, und das ist das Entscheidende, hat der Handel traditionell eine sehr hohe Datenkompetenz – auch und gerade im Zusammenspiel mit den Konsumgüterherstellern. Wer weiß traditionell mehr und genauer Bescheid über Kundenwünsche und deren Reaktionen auf Preissignale, neue Angebote und Angebotsänderungen?

In der Tat sind Begriffe und Konzepte wie Category Management und Trade Promotion Optimization seit Jahrzehnten fest im Geschäftsalltag von Handelsunternehmen und ihren Beziehungen zu Herstellern und Erzeugern verankert. Zudem ist die Unterstützung durch Software und Auswertungen zur optimalen Gestaltung von Sortimenten und Werbeaktionen kein Novum; das gilt auch für Analysen möglicher Kannibalisierungseffekte innerhalb eines kompletten Produktsortiments oder auch nur des Angebots ein und desselben Herstellers.

Denn spezielle Softwareangebote für Konsumgüterhersteller und Händler zur Analyse des Käuferverhaltens und sogar zu deren Simulation reichen fünfzehn Jahre und mehr zurück – also lange bevor von Cloud Computing, Digitalisierung oder Big Data und Big Data Analytics die Rede war.

Grundlage für diese Softwarelösungen bildeten Datawarehouses, die spaltenorientiert aufgebaut waren und schon seit den 1990er Jahren für analytische Aufgaben den Markt eroberten. Schon damals lautete der Grund für diesen neuartigen Bedarf Datenwachstum – als Folge des verbreiteten Einsatzes von zeilenorientierten Datenbanken. Denn die darin enthaltenen Daten boten sich geradezu an, aggregiert und dann zum Beispiel hinsichtlich einer bestimmten Umsatzregion oder einer gewissen Kundengruppe, die sich in Spalten ordnen ließen, ausgewertet zu werden.

Weil das Datenwachstum aber ungebremst weiterging, haben die Datenbankhersteller in den vergangenen fünf bis zehn Jahren massiv in die Modernisierung ihrer Systeme investiert und hier gerade bei analytischen Anwendungsfällen beeindruckende Leistungssteigerungen erzielt. Möglich wurde dies durch den Einsatz von Rechenclustern zur parallelen Analyseberechnung. Durch neuartige Laufwerke (Stichwort Solid State Drive) und viel Hauptspeicher ist es in der Tat möglich, Zugriffszeiten zu minimieren und sogar sehr große Datenmengen speicherresident vorzuhalten. Die meisten dieser Lösungen sind mittlerweile auch in der Cloud implementiert, in der Speicherkapazitäten bekanntlich praktisch grenzenlos zur Verfügung stehen.

Big Data: gut, aber zu teuer

Das Wissen um die Daten und ihre geschäftliche Bedeutung ist also schon lange vorhanden, die Technologie ebenso – warum ist der Handel dann ins Hintertreffen geraten? Ein Grund ist sicherlich, dass die IT-Umgebungen der Händler und der Konsumgüterhersteller mit dem exponentiellen Datenwachstum der Online-Welt nicht Schritt halten. Damit hängt der zweite entscheidende Grund direkt zusammen: die Kosten. Auch wenn Speicher sowohl bei den Hardwareherstellern als auch in der Cloud immer billiger geworden ist, gilt das nicht im gleichen Maße für die analytischen Datawarehouses, ob sie nun im eigenen Rechenzentrum oder bei einem öffentlichen Cloud-Anbieter implementiert sind. Damit konnten Handel und Konsumgüterindustrie nicht im selben Maße von den Skaleneffekten profitieren wie die Internetriesen.

Die Zukunft – wie der einstige Erfolg – des Handels liegt in den Daten. Daran besteht kein Zweifel. Die Händler müssen sich ihre Hoheit und ihren Vorsprung im Erkennen und Bedienen von Kundenwünschen zurückholen, indem sie ihre Sortimente und Services personalisierter und passgenauer weiterentwickeln und anbieten als die Konkurrenz, die ihre Erfahrungen aus der Online-Welt bezieht.

Dazu muss aber der Handel seine Analysekapazitäten im Vergleich zu den heute in der Regel vorhandenen Ressourcen massiv erweitern. Nur so lässt sich zum Beispiel an der Kasse der Inhalt eines Einkaufswagens noch während des Bezahlvorgangs analysieren und mit der Kaufhistorie des betreffenden Kunden abgleichen, um personalisierte Rabattangebote zu den vom Kunden präferierten Waren zusammen mit dem Kassenzettel auszuhändigen.

Dies gilt vor allem auch dann, wenn neue Zusammenhänge in den vorhandenen Daten entdeckt und mit statistischen Methoden bewiesen werden sollen. So ist die Idee vielleicht naheliegend, dass in ländlichen Gegenden die Menschen dem Online-Handel positiver gegenüberstehen, einfach weil der nächste Supermarkt zu weit entfernt ist. Es könnte aber auch sein, dass die Haltung kritischer ausfällt, weil die Menschen auf dem Land dieser Neuerung eventuell abwartender gegenüberstehen. Doch wie lässt sich das herausfinden?

Glücklich, wer bei einer solchen Frage über genügend große und heterogene Datenbestände verfügt, um die Häufigkeit von Online-Transaktionen mit der Zahl der Kühe pro Quadratkilometer zu korrelieren. Und siehe da: Der vermutete Zusammenhang, dass ländliche Gebiete und Online-Handel in einem positiven Verhältnis zueinander stehen, bestätigt sich. Eine Ursache wird damit natürlich nicht erwiesen.

Nicht weil jemand auf dem Land lebt, liebt er Online-Handel. Vielmehr könnte es ja sein, dass der Rückbau der ländlichen Infrastruktur die Menschen in die Arme der Internethändler treibt. Doch aus der Sicht eines Handelsunternehmens ist das einerlei. Denn die Frage, ob eine weitere Filiale vor Ort eröffnet oder das eigene Online-Angebot ausgebaut werden soll, lässt sich zugunsten des Letzteren beantworten.

Wie sich die Kosten senken lassen

Hand aufs Herz: Verfügen die klassischen Handelshäuser über die analytischen Verarbeitungskapazitäten in ihren Rechenzentren, um die beiden genannten Fallbeispiele von Echtzeitauswertungen einerseits und neuen Fragestellungen andererseits gleichzeitig und in beliebiger Häufigkeit Teil des Arbeitsalltags werden zu lassen? Die Antwort lautet wohl: In der Regel nicht. Warum ist das so? Weil es viel zu teuer ist – bislang zumindest.

Leider ändert auch die neue Generation von Datawarehouses daran nichts, insofern sie nicht alle Aspekte des Cloud Computing nutzt. Denn neben dem fast grenzenlosen Ressourcenangebot zeichnet sich die „Wolke“ durch ihre Elastizität aus. Deren Vorteil besteht darin, dass die eigene Infrastruktur nicht permanent auf die maximale Last ausgelegt sein muss. Die Voraussetzung lautet aber, dass das starre Verhältnis zwischen Speicher- und Rechenkapazitäten in den Datawarehouse-Lösungen aufgebrochen und beide Ebenen voneinander getrennt werden.

Diese Trennung erst ermöglicht ein rein bedarfsorientiertes Preismodell auch bei analytischen Fragestellungen und Aufgaben. Dadurch sinkt der Kostenaufwand deutlich, um das Potenzial des Datenschatzes, über den klassische Handelsunternehmen nicht nur online, sondern eben auch stationär verfügen, weit über die bisherigen Möglichkeiten hinaus zu heben und mit Erfahrungen aus der Logistik und dem Einkauf zu verknüpfen. Da zudem die Zahl der parallelen Datenanalysen in einem solchen Cloud-nativen Datawarehouse keinen technisch bedingten Beschränkungen mehr unterliegt, bietet es sich an, die eigenen Datenschätze in ausgewählten Bereichen gegenüber den Lieferanten aus der Konsumgüterindustrie zu öffnen. Das senkt den Anreiz für die Hersteller erheblich, den Handel im Bereich der Kundenbeziehungen zu umgehen, und bietet zahlreiche neue Chancen für gemeinsames Handeln.

Der Kampf ist noch zu gewinnen

Der Kampf um eine bessere Wettbewerbsposition gegenüber den Internetriesen ist bei weitem nicht verloren. Vielmehr kommt es im Handel darauf an, die eigene IT strategisch aufzuwerten und als Organisation wie ein Softwareunternehmen zu denken. Um den Rückstand in Sachen Datenanalysen und darauf aufbauendem unternehmerischen Handeln aufzuholen, sind die Unternehmen allerdings auf dieselben Skaleneffekte wie ihre Online-Konkurrenz angewiesen. Dazu brauchen sie Cloud-native Datawarehouses, mit denen sie diese Effekte nicht nur technisch, sondern auch betriebswirtschaftlich sinnvoll erzielen können.