Amazonisierung managen

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Drei Aktionsfelder für das Personalmanagement von Handelsunternehmen.

Über 16 Milliarden Euro gaben die Deutschen im ersten Quartal 2019 beim Online-Shopping aus. Eine gute Nachricht für den hiesigen Online-Handel? Mitnichten, denn vom stetigem Umsatzwachstum profitiert vor allem Amazon: knapp jeder zweite Umsatz-Euro fließt an das US-Unternehmen. Im Wettbewerb mit dem Marktführer ist das Personalmanagement besonders stark gefordert, damit die „Amazonisierung“ nicht zur Existenzfrage wird. In drei Dimensionen – Kunden, Führung und Organisation – sollten Händler dazu aktiv werden und ihre Omnichannel Möglichkeiten nutzen.

Mit einem Wearable, das Emotionen erkennen soll, sorgte Amazon Anfang Juni für neue Schlagzeilen. Laut Patentanmeldung könnte ein Alexa-basierter Echo-Smart Speaker in Zukunft zum Beispiel erkennen, ob wir an einer Erkältung leiden – um dann Online-Bestellungen von Hühnersuppe oder Hustensaft vorzuschlagen und auszuführen. Ganz unabhängig davon, ob diese Idee realisiert wird: sie unterstreicht erneut die Tatsache, dass Amazon in Punkto Kundenorientierung den Standard setzt, sowohl bei Technologieeinsatz und Innovationsfähigkeit.

Auf dieses Leistungslevel aufzuschließen, ist so unrealistisch wie unnötig. Denn für deutsche Händler gibt es noch Geschäftsfelder, die sie Amazon, Ebay und anderen internationalen Rivalen nicht kampflos überlassen müssen, etwa in den Segmenten Mode, Food und B2B-Onlinehandel. Dazu sollte man im ersten Schritt die zentralen Elemente der Amazonisierung verstehen und als Ausgangspunkte nutzen, um das eigenen Geschäftsmodell zu hinterfragen und zu verändern. Hier sind insbesondere die folgenden drei Dimensionen „Customer Centricity“, „Leadership Enablement“ und „Transformierte Organisation“ zu berücksichtigen – freilich unter der Klammer bzw. Voraussetzung, dazu die passend qualifizierten Mitarbeiter an Bord zu haben oder zu holen.

Dimension 1: Customer Centricity

Laut einer aktuellen Studie nutzen bereits 45% der Millennials Sprachassistenten wie Alexa, Siri oder Googel’s Assistant beim Online-Shopping (3). Auf Amazons Strategie, konsequent von den Kundenbedürfnissen her zu denken und so Kundenbeziehungen zu sichern und neue aufzubauen, wird natürlich auch ein technologisches Gadget wie die Emotionserkennung in Zukunft einzahlen. Erfolgsentscheidend sind aber gar nicht die „richtigen“ Technologien, sondern zuallererst die richtigen Kompetenzen im Team: Mitarbeiter mit Erfahrung, Experimentier- und Innovationsfreude in Themenfeldern wie KI, Cloud oder Datenanalyse. Diese sollten gemeinsam mit Marketing- und Sales-Verantwortlichen genau nachvollziehen, worauf die Kundenbeziehungen beruhen, welche Berührungspunkte zwischen Kunde und Unternehmen in der „Customer Journey“ existieren, wie man sie verbessert und wie man Kunden im nächsten Schritt personalisiert ansprechen kann (Segment of One).

In diesem Zusammenhang ist auch das Stichwort „Seamless Commerce“ wichtig, d.h. das „nahtlose“ Einkaufserlebnis über Online-/Offlinekanäle hinweg. Basierend auf starken und schlanken (IT-)Backoffice Prozessen, ergänzt man im Idealfall die genannte Teamaufstellung mit Experten für Social Media und Mobile, die u.a. eine konsistente Infrastruktur der Social-Media-Kanäle erstellen. Idealerweise haben diese Mitarbeiter Erfahrung mit Omni-Channel-Kampagnen – sie sollten z.B. wissen, wie man ein Produkt im richtigen Bild (Instagram), in einer geeigneten App, in Showrooms oder am POS und natürlich im Online-Shop richtig anbietet.

Dimension 2: Leadership Enablement

Handelsunternehmen sollten zudem nicht aus dem Blick verlieren, dass ihre Kundenbeziehungen zwar das zentrale, aber natürlich nicht das einzige Handlungsfeld darstellen. Sie müssen technologie- und datengestützte Ökosysteme aufbauen, die ihre Beziehungen zu den Kunden ebenso nach der Plattformlogik organisieren wie zu ihren Lieferanten, Zwischenhändlern und Partnern – und das im Wettbewerb gegen Amazon, Ebay & Co, für die diese Welt völlig natürlich ist. Das bringt komplett neue Führungsaufgaben mit sich, bei deren Bewältigung die gewohnten Tools und Mindsets nur bedingt weiterhelfen. Es gilt, die vorhandene Führungsmannschaft auf Verbesserung und Geschwindigkeit zu fokussieren – und das in Richtung aller externen und internen „Mitspieler“.

Zwei Führungsqualitäten sind hierfür besonders relevant: Collaboration sowie die Fähigkeit, Veränderungen gestalten bzw. steuern zu können. Collaboration bedeutet hier vor allem, als Führungskraft Mitarbeiter im Unternehmen zu identifizieren, die kundenorientiert denken und handeln und dieses Wissen gerne teilen. Aber auch, die Zusammenarbeit in funktionsübergreifenden Teams zu stärken. Gute Transformations-Manager verbinden dabei unternehmerisches Denken mit Agilität und hoher Entscheidungsbereitschaft. Gerade in Kombination mit den genannten fachlichen Kompetenzen sind diese „Digital Leader“ natürlich schwer zu finden. Daher sollte man sich bei der Suche nach Talenten auch außerhalb der E-Commerce-Welt umschauen, etwa in der Technologie- und Medien-Branche, in Digitalagenturen sowie in den „Digital Labs“ der Strategieberatungen oder bei kleineren Pure Playern.

Dimension 3: Transformierte Organisation

Weder diese Talente noch State of art-Technologien können allerdings etwas bewirken, wenn die Organisationskultur des Unternehmens nicht den richtigen Rahmen für Veränderungen bietet. Die Agilität des Online-Handels, den Hochgeschwindigkeitswettbewerb mit extrem kurzen Zyklen, muss man adäquat abbilden können. Für sehr viele Unternehmen ist das nur mit einem tiefgreifenden kulturellen Wandel zu bewältigen.

Neben der bereits genannten „Try and Error“- anstelle einer „Zero Defects“-Kultur kommt es hier u.a. darauf an, eine digitale DNA zu entwickeln. Ein Best-Practice-Beispiel hierfür ist das Bildungsprogramm „Digital Upskilling“ bei Henkel, welches der Konzern derzeit weltweit mit allen Mitarbeitern umsetzt. Dieses startet mit der Evaluierung des digitalen Kenntnisstandes der Belegschaft, konkret spielerischen Tests zum digitalen Allgemeinwissen sowie einer Analyse von berufs- und fachspezifischen Fähigkeiten in Abteilungen wie HR, IT, Marketing und Vertrieb. Anhand der Ergebnisse will das Unternehmen maßgeschneiderte Trainingsempfehlungen für die Mitarbeiter erstellen, die zuvor definierten, idealen zukünftigen Kompetenzen entsprechen. Die Trainings umfassen Themen wie Analytik, E-Commerce oder die Ansprache von neuen Mitarbeitern.

Natürlich hat nicht jeder Händler die Gestaltungsmöglichkeiten eines Weltkonzerns – andererseits bedeuten kleinere Belegschaften und Teams auch bessere Ausgangsbedingungen für Veränderungen. Zudem sollte man nicht vergessen, dass der Wandel zu einer kundenzentrierten Organisation natürlich nicht über Nacht gelingt. Wer jetzt mit der richtigen Führungsmannschaft loslegt, ist aber bereits auf dem richtigen Weg.

Über die Autorin: Sandra Haindl ist als Principal bei der Personalberatung LAB & Company in München tätig. Ihre Beratungsschwerpunkte umfassen die FMCG- & Retail-Branche sowie den Digitalbereich mit Fokus auf Konsumgüterhersteller in den Bereichen Food und Non-Food, E-Commerce und digitale Plattformen. Mehr zum Thema erfahren Sie im Interview „Der Wandel zur kundenzentrierten Kultur ist eine extreme Herausforderung“ auf www.labcompany.net.