Wachstum in Höchstgeschwindigkeit: So ließe sich das mit dem Begriff „Growth Hacking“ verfolgte Ziel auf den Punkt bringen. Was dahinter steckt, verraten wir Ihnen in diesem Beitrag.
Für viele Händler ist Wachstum, wenn überhaupt, nur eines von mehreren Zielen: Kosteneffizienz, Kundenbindung oder Gewinnmaximierung mögen bei ihnen höhere Priorität haben. Wer individuelle Dienstleistungen anbietet, etwa als Friseur, Poträtzeichner oder auch als Webdesigner, dessen Wachstumsgrenze ist – zumindest vorübergehend – identisch mit seiner Kapazitätsgrenze. Das hier beschriebene Marketing-Phänomen „Growth Hacking“ ist vor allem für die Art von Händlern oder Dienstleistern interessant, die sich Wachstum um jeden Preis auf die Fahnen geschrieben haben. Denn genau das ist das Ziel von Growth Hacking: Wachstum um jeden Preis.
Vor allem Startups, die eine in weiten Grenzen skalierbare Leistung anbieten, setzen auf ein exponentielles Wachstum, um die Aufmerksamkeit von Investoren auf sich zu ziehen oder sich als Übernahmekandidaten zu präsentieren. Gewinn- und Kostenziele stehen bei solchen Unternehmen anfangs hintan. Nichtsdestoweniger haben diese Unternehmen natürlich keine grenzenlosen Budgets für klassische Werbe- und Marketingaktionen. Deshalb setzen Growth Hacker auf kreative Ideen und Mechanismen, um die Kundenbasis ihrer Unternehmen zu vergrößern.
Wachstums-Trick Nummer Eins: Kundenempfehlung
Kunden um eine Weiterempfehlung zu bitten, ist an sich keine besonders kreative Idee. Bei einem Growth Hack geht es eher um das Wie: Ein typisches Beispiel für einen Growth Hack, der auf Weiterempfehlungen basiert, liefert Dropbox bietet eine sehr einfach zu skalierende Leistung, nämlich Online-Speicherplatz, der sich durch Zukauf oder Anmietung weiterer Server problemlos erweitern lässt. Dropbox bietet seinen Nutzern für jede erfolgreiche Empfehlung zusätzlichen, dauerhaft kostenlosen Speicherplatz. Nutzer profitieren also direkt und dauerhaft davon, wenn sie den Dienst weiterempfehlen. So gelang es dem Service, innerhalb von 15 Monaten von 100.000 auf 4 Millionen Nutzer zu wachsen.
Ein anderer Empfehlungs-Growth Hack ist der, mit dem der E-Mail-Dienst Hotmail 1998 seine Nutzerbasis exponentiell steigern konnte. Damals waren viele E-Mail-Dienste noch kostenpflichtig. Hotmail hängte deshalb an jede damit verschickte E-Mail eine Signatur an, die einen Satz wie „Diese Nachricht wurde mit Hotmail versandt. Holen auch Sie sich Ihr kostenloses E-Mail-Konto“. Jeder Hotmail-Nutzer verschickte, ob er sich dessen bewusst war oder nicht, mit jeder einzelnen E-Mail eine Empfehlung für den Dienst. In kurzer Zeit wuchs der Dienst auf 12 Millionen Nutzer, und wurde damit attraktiv genug, damit Microsoft ihn für 400 Millionen US-Dollar übernahm.
Noch etwas subtiler setzte auch Apple einen Empfehlungs-Growth-Hack ein: In gedruckten Werbeanzeigen ebenso wie in Video- und Fernsehwerbung zeigte Apple die schwarzen Silhouetten tanzender Menschen, aus deren Ohren weiße Kopfhörerkabel zu einem ebenfalls weißen iPod führten. Dieses Bild verankerte sich dadurch in den Köpfen vieler Menschen. Da seinerzeit die Kopfhörerkabel der allermeisten Hersteller schwarz waren, wurden so alle iPod-Nutzer mit ihren weißen Kopfhörerkabeln für Apple zu Werbeträgern, wenn sie sich mit ihren Geräten in der Öffentlichkeit bewegten.
Kein Growth Hack für jeden: Teilen- und Einbetten-Funktionen
Soziale Netzwerke und Social Media Plattformen verdanken einen guten Teil ihres Bekanntheitsgrades der Tatsache, dass ihre Leistungen, und die ihrer Nutzer, auch jenseits ihrer eigenen Plattformen wahrgenommen werden. YouTube etwa bietet unter jedem Video eine umfangreiche Liste von sozialen Netzwerken, über die der Betrachter das gerade gesehene Video mit anderen teilen kann, und außerdem Codeschnipsel, die Seitenbetreiber einfach nur kopieren und in den Code ihrer eigenen Websites einfügen müssen, um die Videos dort einzubetten. Dank des gleichen Prinzips finden sich auf Millionen von Websites eingebettete Instagram-Fotos, Kurzkommentare von Twitter, Posts von Facebook oder Hörstücke von Soundcloud.
Dieses Prinzip passt allerdings nicht zu jeder skalierbaren digitalen Dienstleistung: Den aktuellen Kontostand, Sicherheitslücken im eigenen Webauftritt oder eine Liste potentieller Partner von Dating-Plattformen dürfte kaum ein Nutzer nach außen kommunizieren wollen.
Am Ende entscheidet das Produkt
Eines kann Growth Hacking nicht: Einem schlechten Produkt zum Erfolg verhelfen. Welcher Nutzer hätte Dropbox weiterempfohlen, hätte dieser Dienst durch Datenverluste und schlechte Erreichbarkeit von sich reden gemacht? Wer hätte sich die weißen iPod-Kopfhörer in die Ohren gesteckt, wäre das Gerät durch schlechten Klang und eine sperrige Bedienung negativ aufgefallen (letzteres übrigens ein Grund, weshalb der iPod Shuffle der 3. Generation floppte)? Und wer würde Instagram-Fotos oder YouTube-Videos teilen oder einbetten, ließen diese Dienste die Rechner und Smartphones ihrer Nutzer abstürzen?
Nur weil alle von Influencer-Marketing auf Instagram oder den geheimen Facebook Ad Hacks sprechen, heißt das nicht, dass man auf Teufel komm raus auch auf diesen Zug aufspringen sollte. Eine enorm wichtige Leitfrage des Growth Hackings ist: „Wo genau hält sich meine Zielgruppe auf und wie kann ich diese dort genau ansprechen?“
Hendrik Lennarz, Geschäftsführer Lennarz Consulting
https://www.lennarz-consulting.de
Nur wenn auch das Produkt stimmt, kann Growth Hacking zu dessen Erfolgsstory beitragen. Dann allerdings können solche Techniken darüber entscheiden, wie Nutzer sich darüber äußern. Zwischen „schon mal gehört“ und „kennt doch jeder“ liegen auch unter Umsatz-Aspekten Welten. Foto: LinkedIn (dme)