Der digitale Wandel – eine Bestandsaufnahme

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Groß- und Einzelhandel in Deutschland sind hin- und hergerissen. Zum einen ist der Handel seit jeher führend darin pragmatisch technologischen und gesellschaftlichen Wandel zu akzeptieren, zu adaptieren und voran zu treiben. Zum anderen erklären Akademiker und Berater der Bundesregierung bereits seit vielen Jahren, dass deutsche KMU den digitalen Wandel verschlafen hätten.

„Nicht alle kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) scheinen die Bedeutung der anstehenden Veränderungen wahrzunehmen. Zudem behindern Finanzierungsbeschränkungen kleinere Unternehmen darin, notwendige Veränderungen konsequent anzugehen“, sagt die stellvertretende Chefin der Expertenkommission für Forschung und Innovation, Monika Schnitzer, bei der Vorstellung eines Gutachtens zum digitalen Wandel in Deutschland im vergangenen Jahr.

Differenzierterer Blick: Vorstände verstehen die Vorteile

Eine Studie im Auftrag der Bitkom aus dem Jahr 2016 kommt zu einem  differenzierteren Ergebnis. Die Studie „Die zwei Gesichter der Digitalisierung“ der Tata Unternehmensberatung zeigt, wo deutsche Unternehmen bereits große Fortschritte gemacht haben. Das beginnt bei dem Verständnis der Digitalisierung: Die Unternehmen und ihre Vorstände und Top-Manager verstehen die Vorteile der Digitalisierung, wenn es um Gewinnsteigerung, Kosteneffizienz, Umsatzsteigerung, Markpositionierung und Kundengewinnung geht.

Außerdem statten Unternehmen ihre Mitarbeiter zunehmend mit mobilen Technologien für flexibles Arbeiten aus und begreifen, dass diese Flexibilität ein absolutes Muss für ihre zukunftsfähigkeit ist. Nicht nur weil Arbeitnehmer dadurch in die Lage versetzt werden Privatleben und Arbeitsleben besser miteinander zu vereinen, sondern auch weil mobilen Technologien die Produktivität steigern. Der Grundstein für einen nachhaltigen Wandel beginnt auch beim digitalen Wandel bei den Mitarbeitern.

Ein Mangel an digitalen Plattformen

Allerdings betrachtet nur etwa die Hälfte aller deutschen Unternehmen die Digitalisierung als wichtiges oder sehr wichtiges Ziel, heißt es in der Studie. Nur 22 Prozent der befragten Unternehmen nutzen digitale Plattformen. In der Schweiz sind es laut auch einer Studie des Wirtschaftsverbandes für eine digitale Schweiz SWICO ebenfalls weniger als ein Viertel aller befragter Unternehmen.

„Vor allem digitale Plattformen verändern die Märkte mitunter radikal. Zusätzlich eröffnen sie Chancen für eine flexiblere Arbeitsorganisation, individuelle Produktgestaltung oder einen besseren Kundenservice. Möglich macht es die Kombination zukunftsweisender Schlüsseltechnologien: Cloud-Computing, Big Data, soziale Medien und mobile Endgeräte“, zitiert die Tata-Studie den Direktor der Tata Unternehmensberatung für Zentraleuropa in Deutschland, Sapthagiri Chapalapalli.

Das Bild auf dem deutschen Markt ist verheerend, wenn es um die Nutzung von Unternehmenssoftware geht, sei es für das Enterprise-Ressource-Planning (ERP), das Costumer-Relationship-Management (CRM) oder für ein Content-Management-System (CMS). Nur 48 Prozent aller Unternehmen insgesamt setzen solche oder andere Software ein, heißt es in der Tata-Studie. Diese IT-Systeme sind von großer Bedeutung, wenn es um die Verbesserung von Unternehmensabläufen oder das Erschließen neuer Märkte, das Finden neuer Mitarbeiter oder die Einführung neuer Dienstleistungen geht. Die Studie zeigt, dass an diesen Stellen Entscheider kein Potential sehen: Unternehmen vergeben hier Chancen.

Big Data und Kunde

Big Data erschließt den Kunden umfassender. Um anfallende Kunden-, Vertriebs- und Logistikdaten auszuwerten, braucht es nicht nur die richtigen Analysetools sondern auch verständiges Personal. Hier ist der Handel führend, denn 72 Prozent der befragten Händler nutzen bereits Big Data für ihre Marketing-Analysen. Die meisten Händler haben hingegen noch starke Defizite bei der personalisierten Ansprache über soziale Medien oder ihrer Direktvermarktungs-Strategie. Außerdem werden Kunden nur in sehr geringem Maße in die Unternehmensgestaltung und unmittelbar in die Produktentwicklung einbezogen. Lediglich 9 Prozent aller befragten Unternehmen beteiligen Kunden an der Entwicklung, zum Beispiel via Crowd-Sourcing, eine soziale Technologie mit der Unternehmen Aufgaben oder Projekten an eine Gruppe von Internetnutzern auslagern können – und die wird wiederum durch digitale Plattformen ermöglicht.

Was ist zu tun, wer ist verantwortlich?

Die Treiber für den digitalen Wandel in Unternehmen sind die IT-Abteilungen: 48 Prozent der CIOs und Heads of IT aber nur 22 Prozent der Geschäftsführer und Vorstände übernimmt die Verantwortung dafür. Das bedeutet aber nicht, dass ausschließlich IT-Entscheider Kompetenzen für digitale Themen übernehmen sollten. Um die Fähigkeit die Geschäftsführer immer wieder in die Verantwortung zu nehmen und sie an die harten Fakten der digitalen Transformation zu erinnern bedarf es vor allem sozialer Kompetenz. Wenn es CIOs daran fehlt, gibt es verschiedene Möglichkeiten der Weiterbildung, wie durch Coachings, Kurse und Seminare.

Der digitale Wandel benötigt gesamtunternehmerische Verantwortung. Auch wenn der Handel im Gegensatz zu anderen Branchen bereits viel richtig macht, ist auch hier noch viel ungenutztes Potential vorhanden, wie die Tata-Studie zeigt: Lediglich 12 Prozent aller Unternehmen in Deutschland, ob Handel oder eine andere Branche, nutzen alle . Zwar werden soziale Netzwerke verstärkt angenommen, Cloud-Infrastrukturen sind immer beliebter und auch die Ausstattung der Mitarbeiter mit mobilen Endgeräten und Technologien nimmt zu. Dennoch fehlen übergreifende digitale Plattformen, die das alles integrieren und von nicht nur Großunternehmen sondern auch die KMU profitieren.